Kritik zu Köln 75
Ido Fluk erzählt vom Zustandekommen des legendären »Köln Concert« nicht aus der Sicht des Musikers Keith Jarrett, sondern aus der der jungen Veranstalterin Vera Brandes
Legendäre Ereignisse haben die Eigenschaft, dass sich mit der Zeit bestimmte Legenden über sie etablieren. So auch beim »Köln Concert«, das der Jazzpianist Keith Jarrett 1975 unter widrigen Umständen in der Kölner Oper gab und dessen Livemitschnitt als das meistverkaufte Jazz-Soloalbum aller Zeiten gilt. Jarrett kam an diesem Tag übermüdet und mit Rückenschmerzen angereist, anstelle des versprochenen Konzertflügels stand lediglich ein deutlich kleinerer Stutzflügel zur Verfügung, der kurz vor dem Konzert repariert wurde, die dadurch notwendige Änderung von Jarretts Stil machte das Konzert so erfolgreich. Was von dieser gängigen Erzählung exakt der Wahrheit entspricht und wie viel Mystifizierung in ihr steckt, lässt sich im Nachhinein schwer beantworten.
Während ein Dokumentarfilm von Vincent Duceau demnächst einigen der Mythen noch einmal auf den Grund gehen will, legt der Spielfilm »Köln 75« seinen Fokus auf eine andere Perspektive: die der damaligen Konzertveranstalterin Vera Brandes. In schnellem Tempo wird zunächst erzählt, wie die 16-jährige Brandes, von Mala Emde sympathisch frech und energetisch gespielt, damit beginnt, Konzerte zu organisieren. Mit 18 Jahren beschließt sie, Keith Jarrett in die Kölner Oper zu holen, und dank ihres Engagements kann das Konzert trotz aller Widrigkeiten stattfinden. Auch diese Geschichte mag ein wenig mystifiziert sein und bekommt zusätzliche dramaturgische Spannung durch nicht ganz der Realität entsprechende Handlungselemente, wie dem Deal mit der Mutter, dass das Konzert entweder erfolgreich wird oder Vera die Arbeit sein lässt. Trotzdem ist es eine authentische Liebeserklärung an all die Personen, die hinter den Auftritten großer Künstler stehen und die oft die gleiche Leidenschaft mitbringen wie diese selbst. Zudem ist es eine inspirierende Geschichte weiblicher Emanzipation, stellt Vera sich mit ihrer Arbeit doch auch den patriarchalen Forderungen ihres Vaters (Ulrich Tukur) entgegen.
Anders als Vera Brandes, die für den Film ausgiebig ihre Sicht auf die Ereignisse schilderte, lehnte Keith Jarrett, der dem »Köln Concert« eher missbilligend gegenübersteht, eine Zusammenarbeit ab. Auch die Originalmusik durfte für den Film nicht verwendet werden. Um sich der schwer zu greifenden Künstlerpersönlichkeit dennoch zu nähern, führt Regisseur Ido Fluk die fiktive Figur des Journalisten Michael Watts (Michael Chernus) ein. Watts, am Vorabend des Konzerts für ein Interview angereist, begleitet Jarrett (John Magaro) und dessen Manager Manfred Eicher (Alexander Scheer) bei der nächtlichen Autofahrt nach Köln, führt Gespräche über Musik und das Künstlerleben und gibt am Ende zu, dass alles nur seine Vorstellung davon war, wie es gewesen sein könnte.
»Köln 75« ist also bewusst eine Mischung aus realer Konstruktion der Ereignisse und Erzählung eines ganz eigenen Märchens, wobei der Tonfall zwischen melancholischem Ernst und heiterer Komik changiert. Immer wieder brechen die Darstellenden die vierte Wand auf, die Figur des Michael Watts tritt zusätzlich als eine Art allwissender Erzähler auf, der zwischendurch Jarretts Musikstil und die Geschichte des Jazz erklärt. Als Rahmenhandlung fungiert die Feier zum 50. Geburtstag von Vera (dann gespielt von Susanne Wolff), bei der sie nochmals mit ihrem Vater abrechnet, während Szenen, in denen Vera und ihre Freunde auf Demos der Frauenbewegung gehen, und die Montage von Archivmaterial ein Gefühl für den damaligen Zeitgeist geben.
Ab und an läuft »Köln 75« Gefahr, inmitten dieser inszenatorischen Verspieltheit die Stringenz zu verlieren, doch letztendlich trägt der positive Charme, den die Beteiligten entwickeln, bis zum Ende. Zudem gelingt es, ganz ohne die Originalaufnahmen Faszination für Jarretts Musik zu wecken. Allein die kurzen, neu eingespielten Sequenzen zu hören und John Magaro als Keith Jarrett versunken am Klavier zu beobachten, macht Lust, sich das Original anzuhören.
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