Kritik zu Jeanne d'Arc
Auch Bruno Dumonts zweiter Film über das Leben und den Tod der Jeanne d'Arc bricht mit herkömmlichen Erwartungen und Konventionen und dekonstruiert den Mythos der französischen Nationalheiligen
Die Szenerie weckt Erinnerungen an »Jeannette«, Bruno Dumonts Pop-Musical über die Kindheit Jeanne d'Arcs. Wieder einmal blickt die Kamera über eine Dünenlandschaft im Norden Frankreichs. Vom Krieg ist nichts zu sehen. Dafür stapfen kirchliche Würdenträger und adelige Krieger mühsam durch den Sand und führen eine Art absurdes Theaterspiel auf. Ihre Sprechweise ist so künstlich wie ihr ganzer Habitus. Wenn das wirklich das Frankreich ist, für dessen Befreiung Jeanne die Rüstung angelegt hat, drängt sich eine Frage auf: Warum nur hat sie die Hügel an der Maas verlassen? Mit diesen scheinheiligen Mächtigen, die ein Mädchen für sich in den Krieg ziehen lassen und sie im erstbesten Moment verraten werden, lässt sich kein Staat machen.
Schon Dumonts erste Annäherung an den Mythos der heiligen Johanna war ein Akt der Verweigerung. So viele Menschen und Gruppierungen haben im Lauf der Geschichte versucht, Jeanne d'Arc und ihren Kampf gegen die Engländer für sich zu vereinnahmen. Gegen diese Form meist ideologischer Inbesitznahme rebelliert Dumont mit Vehemenz. Seine Jeanne ist weder Nationalheldin noch Heilige, sie ist einfach ein Mädchen mit unverrückbaren Prinzipien und Überzeugungen. Und damit steht sie in der Welt, wie Dumont sie sieht, auf verlorenem Posten.
Die Jeanne, die vor Paris ihre erste Niederlage erleben musste und der dann ein halbes Jahr später in der Kathedrale von Rouen der Prozess gemacht wurde, war 18 oder 19 Jahre alt. Eine junge Frau, die auf den Schlachtfeldern des Hundertjährigen Krieges erwachsen geworden war. Doch sie wird von der zehnjährigen Lise Leplat Prudhomme gespielt, die zwei Jahre zuvor schon die kleine Jeannette verkörpert hat. Jeanne ist trotz allem das Mädchen geblieben, das die Schafe ihrer Eltern gehütet hat. Sie hat sich ihre Unschuld bewahrt und steht nun einem Klerus gegenüber, der auf ihr reines Wesen mit der Macht seiner Zerstörungsmaschinerie antwortet. Dieses Mädchen stellt die Gelehrten der katholischen Kirche allein durch ihre Existenz bloß. Ihre durch nichts zu korrumpierende Haltung entlarvt den Zynismus und die Lügen, die diese Geistlichen als christlichen Glauben ausgeben. Dumont hat für sie nichts als Verachtung übrig. Ihr Auftreten und ihre Sprache offenbaren die Lächerlichkeit dieser kleinen, machtbesessenen und frauenfeindlichen Männer.
Aber »Jeanne d'Arc« ist keine Satire im herkömmlichen Sinne. Dumonts Spott dient keinem höheren Ideal. Er genügt sich selbst. Der Film verweigert sich nicht nur den nationalen Mythen Frankreichs. Er widersetzt sich auch jeder Genrefestlegung. Dumonts oft statische Bilder, die sich immer wieder an Lise Leplat Prudhommes undurchdringlichen Blick festbeißen, sind auf eine absolut faszinierende Weise eigenwillig. Dumonts Kino kennt nur seine eigenen Regeln. Darin gleicht es Jeanne. Der französische Filmemacher hat in dem Mädchen eine Seelenverwandte gefunden, und so ist »Jeanne d'Arc« auch ein Selbstporträt Dumonts und ein Bekenntnis zu einer Kunst, die keinerlei Kompromisse eingeht.
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