Kritik zu Im Winter ein Jahr
Caroline Links erster Film fünf Jahre nach ihrem Oscargewinn für »Nirgendwo in Afrika« ist ein sensibles Drama über Verlust und Trauer
Warum ist Lilli sauer? Vermutlich ist der Maler Max der Erste seit langem, der das ernsthaft wissen will. Er soll die 22-jährige Tanzschülerin zusammen mit Bruder Alexander porträtieren. Doch Alexander ist seit Monaten tot. Mittels Fotos, so der morbide Auftrag von Mutter Eliane, soll Max ihren schönen, heiteren Jungen rekonstruieren. Und mit seinen unbefangenen Fragen löst Max bei Lilli, die ihm beim ersten Atelierbesuch ihre Genervtheit deutlich zeigt, einen Bewusstseinsprozess aus. Sie ist sauer, weil ihre Mutter den toten Bruder zur Deko an die Wand hängen will, und offenbart, dass der tödliche »Jagdunfall« ein Selbstmord war. Das ist auch für den Zuschauer, eine Viertelstunde nach Filmbeginn, eine Neuigkeit. Als sei der Verlust eines geliebten, wohlgeratenen Sohnes nicht schlimm genug, so stellt sein rätselhafter Freitod die totgeschwiegene Hypothek der Rest-Familie dar. Lilli jedoch, die wohl schon seit langem den Rebellenpart innehat, kann den Zustand der Mutter, den sie selbst mit dem klinischen Ausdruck der »belle indifference« beschreibt, nicht erreichen.
Nach ihrem Oscar für »Nirgendwo in Afrika« und in ihrem ersten Film seit fünf Jahren erweist sich Caroline Link erneut als eine Regisseurin, bei der man eine Geschichte über Trauer und Verlust, die nur zu leicht ins Klebrige abrutschen kann, in guten Händen weiß. In seiner Ökonomie und intuitiven Bildsprache brillant ist der Beginn, in dem Alex selbstvergessen im Schnee tanzt, bis seine hingerissene Mutter ihn mit dem Camcorder bedrängt. Das Unbehagen an der vermeintlich harmlosen Szene wächst, je mehr die familiären Unterströmungen zutage treten. Und doch geht es nicht darum, ein etwaiges Geheimnis hinter der Fassade des Glückskindes zu entdecken, sondern um die Reifeprüfung der Schwester, die nicht weiß, wohin mit Schuldgefühl und Trauer. Link hat die Romanvorlage »Aftermath« ins gehobene Münchner Milieu verlegt und die Malerrolle auf Josef Bierbichler abgeändert. Zwischen dem Eigenbrötler und seinem Modell entwickelt sich eine Freundschaft – mal väterlich, mal mit erotischem Flirren –, die beiden weiterhilft. Dabei ist Bierbichler als Urviech mit weichem Kern großartig, und Karoline Herfurth als verletzliche und willensstarke junge Wilde zieht einen bei ihrem Hindernislauf durchs Leben absolut in ihren Bann.
Regisseurin Link liebt ihre Darsteller – und weil man es in hiesigen Filmen so selten erlebt, ist es erfreulich, wie echt sich die Dialoge anhören und die geschilderten Milieus wirken. Auch in der Skizze der Eltern unterläuft der Film die üblichen »Reiche Leute«-Stereotypen, obgleich Hanns Zischler als Wissenschaftler etwas glatt wirkt. Nie ist der Blick auf Corinna Harfouch als Karrierefrau und Innenarchitektin, die sich in Aufträge und Ästhetik flüchtet, denunziatorisch. Seit wann ihr Mann sie wohl betrügt? Letztlich mag das elegante, elliptische Drama nicht ganz auf Bedeutungskitsch verzichten. Die Kunst der Inszenierung großer Gefühle mit Empathie und Distanz zugleich – hier wird sie fast vorbildhaft demonstriert.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns