Kritik zu Gelobt sei Gott
François Ozons neuer Film schildert aus der Sicht von Missbrauchsopfern eines katholischen Priesters, die um Aufklärung und Gerechtigkeit kämpfen, den bisher größten Skandal der katholischen Kirche in Frankreich
Es gibt in diesem Film recht früh eine Schlüsselszene, die körperliches Unwohlsein erzeugt: die persönliche Gegenüberstellung zwischen dem inzwischen erwachsenen Missbrauchsopfer Alexandre (Melvil Poupaud) und dem Täter, Priester Bernard Preynat (Bernard Verley). Bei dem Treffen, vom Lyoner Kardinal Barbarin (François Marthouret) und einer Kirchenpsychologin (Martine Erhel) organisiert, soll Preynat seine Taten gestehen und um Vergebung bitten. Während Alexandre angesichts seines einstigen Peinigers kaum die Fassung wahren kann, verfällt dieser in Selbstmitleid. Schließlich sollen sie sich die Hand reichen, ein Vaterunser beten und sich versöhnen, so als wäre die Schuld beiderseitig verteilt. Es ist ein feierlich gemeintes Ritual – und doch bloßes Getue à la »gut, dass wir darüber geredet haben«. Erst als Alexandre und seine Mitstreiter sich an die weltliche Justiz wenden und Öffentlichkeit herstellen, kommen die Dinge in Bewegung.
François Ozon beleuchtet in seinem neuen Film die Vorgeschichte der noch laufenden Verfahren gegen Priester Bernard Preynat, der von Beginn der 70er bis in die späten 80er Jahre Dutzende Pfadfinder missbraucht haben soll, und gegen dessen (inzwischen zurückgetretenen) Dienstherren Kardinal Barbarin wegen Nichtanzeige. Publik gemacht wurden die Missbrauchsfälle vom Verein »La Parole Libérée«, einem Zusammenschluss von Opfern. Anders als im Reporterdrama »Spotlight«, in dem ein Investigativteam das System der Vertuschung von Verbrechen pädophiler Priester aufdeckte, oder im Drama »Glaubensfrage«, in dem eine Nonne einen Priester des Missbrauchs eines Ministranten verdächtigt, konzentriert sich Ozon auf die Perspektive der mittlerweile erwachsenen Opfer. Die Handlung kreist um drei Männer und ist an authentische Zeugnisse angelehnt. Als Alexandre, ein gut katholischer, großbürgerlicher Familienvater, erfährt, dass Preynat trotz seit langem bekannter Verfehlungen immer noch der Umgang mit Kindern erlaubt wird, schreibt er Kardinal Barbarin persönlich an. Alexandres Zähigkeit führt zur Gründung des Vereins, zu dessen Wortführer der hitzköpfige François (Denis Ménochet) wird. Während die beiden Männer auf realen Figuren basieren, ist der dritte Charakter, der Außenseiter Emmanuel (Swann Arlaud), aus den Schicksalen anderer Opfer zusammengesetzt.
Das Bestechende an diesem Drama ist die Eleganz und Dynamik, mit der Ozon Menschen und Milieus porträtiert und die individuellen Zerreißproben der Betroffenen und ihrer Familien, die juristischen Winkelzüge und das Auf und Ab der Stimmungen zu einem romanhaft anmutenden, allgemeingültigen Gesamtbild verdichtet. Als einführendes Voice-over dient die authentische, in geschliffener Rhetorik gehaltene Korrespondenz zwischen Alexandre und Kardinal Barbarin, die sich letztlich als höfliches Hinhalten entpuppt. Doch als Filmemacher mit einer Vorliebe für schillernde Charaktere ist Ozon zu intelligent, um aus den Ereignissen schlicht eine antikatholische Polemik zu schmieden. Viele haben geahnt, gehört, wurden mit ihren Beschwerden hingehalten, haben gar Witze gemacht, wie etwa François' Bruder, der fröhlich ausruft: »Preynat will nur die Kleinen!«
Auf der einen Seite Opfer, die als Nestbeschmutzer und Unruhestifter gelten, Eltern und Medien, die aus schlechten guten Gründen schweigen. Auf der anderen Seite die institutionalisierte Verantwortungslosigkeit von Respektspersonen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Vernetzung kaum befürchten müssen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Hie ein erhabener, im Mauern geübter Apparat, der Geschöpfen wie Preynat, ebenso beliebt wie narzisstisch und infantil, Unterschlupf bietet; dort dessen unsichtbare Opfer am Ende der Nahrungskette, Kinder aus oft prekären Verhältnissen. Doch mit dem Fokus auf die Solidarität der Betroffenen, die sich gegenseitig Mut zu einem öffentlichen Outing machen, ist dieses Drama vor allem eine Hommage an ein ziviles Aufbegehren im Namen von Aufklärung und Gerechtigkeit.
Kommentare
Gelobt sei Gott aus Betroffenensicht
Dieser Film stellt in ernüchternder Art Fakten dar mit denen wir ( ehemalige Regensburger Domspatzen) seit Jahren kämpfen müssen. Als ich gestern im Kino vor der Leinwand saß, erlebte ich all die Situationen wieder mit denen wir es auch zu tun hatten. Der Chefvertuscher Kardinal Müller wurde ja in den Vatikan versetzt als sein Treiben in Regensburg nicht mehr zu rechtfertigen war, jetzt ist er gelobt sei Gott vom Papst entsorgt worden. Aber das Drama ist noch lange nicht zu Ende. Heute noch wird in Regensburg vom Stadtrat das Andenken eines der schlimmsten Schläger hoch in Ehren gehalten (Dr. Th. Schrems) mit Ehrenbürgerwürde, Straßennamen, Büste und allen möglichen kirchlichen Ehrenbezeichnungen auf seinem Grabstein. Geholfen hat uns auch hier die Presse sehr energisch. Regensburg Digital hat unseren Kampf gegen das Bistum aufmerksam verfolgt und genau dokumentiert. www.regensburg-dig...issbrauchsskandal/ Trauriger Weise gilt halt im Stadtrat von Regensburg ein NSDAP Vertrauter und Hitlerschleimer, der mit dem Chor der Regensburger Domspatzen seinerzeit beim Nürnberger Reichspartei tag das Volk in Goebbels Sinne beeinflussen konnte mehr, als die Wahrheit. Es gibt jede Menge Fotos und Dokumente zu diesem Fall. Aber dieser Film bringt leider nicht das Problem der vielen Suizidfälle zur Sprache.
Haimo Herrmann _ Anerkanntes Missbrauchsopfer des Bistums Regensburg
Gelobt sei Gott
Der Film zeigt die Ohnmacht der Opfer: ausgeliefert einem System, in das von außen keinerlei Einsicht, geschweige denn eine Abklärung möglich wäre, weder durch Eltern, noch durch Anwälte. Und dieses System des Schweigens - es ist nicht nur in der Kath. Kirche "rechtlich" installiert"! Es ist ein System, das in keinster Weise mit der Demokratie, mit der Würde, mit Menschenrechten, mit der Gewaltenteilung: Judikative, Exekutive, Legislative vereinbar ist. Dieses System des Schweigens, wo also Rechtsübergriffe möglich sind, ohne dass die Opfer selbst oder Menschen von außen keinerlei Möglichkeiten haben, die Situation abzuklären geschweige denn eine Strafanzeige stellen zu können usw. Dieses System des Schweigens ist also Teil unseres Rechtssystem. Man ändert nichts daran, egal wie groß die Missbrauchsskandale, die Fehlentscheidungen von Jugendämtern, die Kinder in diese Ohnmachtssituationen bringen, auch sein mögen. Was sagt das aus?
Gelobt sei Gott
Diese Mauer des Schweigens, die all dies möglich macht, ist systemrelevant d.h. unser Rechtssystem selbst unternimmt nichts, um diese Opferohnmacht, wo weder von innen noch von außen, eine Abklärung rechtlich möglich ist, zu durchbrechen. Wie kann das sein? Dieses Problem bezieht sich nicht nur auf die Kath. Kirche sondern letztlich auch auf die vielen Inobhutnahmen von Kindern die in Heimen der Kath. Kirche landen oder in Pflegefamilien, den eigenen Familien entrissen und das Kind dermaßen entfremdet wird - wohl mit Absicht - dass eben dem Kind bewußt diese Ohnmacht auferlegt werden soll: Inszenierte Kontaktsperre, die man von außen nicht durchdringen kann. Meistens wird sogar das Kind dermaßen instrumentalisiert, dass das Kind selbst keinen Kontakt mehr will. Dieses System des Schweigens, der Abschottung ist so unglaublich raffiniert gestaltet, abgeschottet, dass man keinen "Zutritt" mehr findet zum Kind, zum Opfer. Ein Kind ist immer Opfer, weil es natürlich nicht durchschaut, was mit ihm passiert. Hier spielt auch das Denunzieren von Außenstehenden eine große Rolle. Sie dienen dann als "Zeugen" und Mithelfer der Manipulation auf das Kind. Unglaublich, dass so ein System in unserem Rechtssystem, wo eigentlich Exekutive, Legislative und Judikative streng getrennt sein müssen, sich so einig sind. Unglaublich, unfassbar!
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