Kritik zu Geliebte Köchin

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Der Regisseur Tran Anh Hung besitzt den Ehrgeiz, den Radius der Sinnesreize im Kino zu erweitern. Der Titel seines bekanntesten Films, »Der Duft der grünen Papaya«, annoncierte dies bereits. Nun ist der Geschmackssinn an der Reihe. Indes hat sein neuer Film in Frankreich Kontroversen ausgelöst, weil er statt »Anatomie eines Falls« ins Oscarrennen geschickt wurde

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An diesem Morgen bringt die Küchenhilfe ihre kleine Nichte mit. Sie musste versprechen, heute auf die elfjährige Pauline aufzupassen. Wie wird das Mädchen sich die Zeit vertreiben? Sie ist natürlich viel zu jung, um sich in der Küche nützlich zu machen. Aber der Hausherr weiß es besser. Er lässt ein Omelette für Pauline zubereiten und weist sie an, es nicht mit der Gabel, sondern dem Löffel zu essen: »Das verändert alles.«

Das Mädchen findet rasch heraus, was er damit meint. Auf diese Weise bleibt die Struktur der geschlagenen Eier erhalten. So geht es ständig zu im Haushalt des berühmten Gastronomen Dodin Bouffant (Benoît Magimel), im Dreiklang von Zubereitung, Essen und Analyse. Er spürt augenblicklich, dass er in Pauline eine gelehrige Schülerin gefunden hat. Eine Prüfung muss sie noch bestehen. Sie soll die Zutaten der Sauce herausschmecken, die gerade fertig wurde. Es gelingt ihr mit Bravour. Das Mädchen besitzt eine feine Zunge, sie hat Kultur. Ohne dass wir es recht bemerkten, haben wir in dieser Szene einer der schönsten Adoptionen der Filmgeschichte zugeschaut. Fortan wird Pauline Hausrecht genießen im Schloss des Feinschmeckers, bis zur wundersamen Schlusseinstellung des Films, in der Dodin keinen Zweifel daran lässt, dass sie hier unverzichtbar ist.

Pauline ist so alt wie das Dienstmädchen, das in »Der Duft der grünen Papaya« von Tran Anh Hung die Erzählperspektive vorgab. Auch sie ist eine aufmerksame Beobachterin. Das Schauspiel, dem sie an diesem flirrenden Sommermorgen beiwohnt, ist aufregend genug. Ein Festmahl wird zubereitet, in großer Eile und mit unendlicher Geduld. Man kann die Gänge gar nicht zählen, die in Schmortöpfen, Kesseln und Pfannen zubereitet werden. 

Zwei Souveräne teilen sich einträchtig dieses Reich, neben Dodin ist das seine vertraute Köchin Eugénie (Juliette Binoche), die ihm an Geschick, Verve und Konzentration in nichts nachsteht. Fast eine halbe Kinostunde dauert dieses kulinarische Hochamt, und man fragt sich, ob dieser Furor nicht einfach so weitergehen könnte für den Rest des Films, ob er überhaupt eine Geschichte erzählen müsste, für die er diesen Schauplatz verlassen soll.

Dodin Bouffant ist ein Gastronom ohne Restaurant, er kocht nur für sich und seine Freunde, die über anspruchsvolle Gaumen und robusten Appetit verfügen. In den 1880er Jahren, auf dem Höhepunkt der Belle Époque, ist dergleichen offenbar möglich. Es ist keine demokratische, sondern eine aristokratische Gesellschaft, die der Film uns zeigt. Sie scheint sich einzig dem Genuss zu widmen. Er ist die noble Grundlage der Geselligkeit. Nur Eingeweihte, zu denen jetzt auch Pauline zählt, sind in diesem Paradies zugelassen. Das ist übrigens eine höchst konservative Angelegenheit. Es geht um ein französisches Kulturgut. »Geliebte Köchin« schleudert dem Fast Food seinen Fehdehandschuh entgegen und dürfte ein Alptraum für Vegetarier sein, von Veganern ganz zu schweigen. Immerhin wird strikt mit regionalen Produkten gekocht.

Für Eugénie ist das Kochen eine Sprache, in der sie mit anderen kommuniziert. (Auch ihre Worte wählt sie mit Bedacht.) Die Leidenschaft, die sie mit Dodin verbindet, ist umfassend. Nicht alles in diesem Haus dreht sich um die Küche. Die zwei teilen Tisch und Bett miteinander; letzteres indes nach ihren Regeln. Nicht immer steht ihm ihre Schlafzimmertür offen. Sie ist stolz, seine Köchin und nicht seine Frau zu sein. Zwanzig Jahre währt dieser delikate Schwebezustand bereits. Als Eugénie erkrankt, kocht Dodin ein weiteres Festessen, diesmal nur für sie. Er bereitet es aus Fürsorge zu und als Liebeswerben. Ob Raffinement und Hingabe genügen, um sie endgültig zu gewinnen?

Man wird gegen den Film ins Feld führen, dass er altmodisch ist. Das Adjektiv führt in die Irre. In welcher Zeit man auch immer dieses Altmodische verorten will – früher hat es solche Filme nicht gegeben, weder mit dieser Figurenzeichnung, bei der jede von ihnen durch ihre Beziehung zum Essen definiert wird, noch mit diesem Kamerastil. Er ist ganz fließend, folgt nicht den Figuren, sondern dem Prozess. Er ist so gestisch, dass er mit wenigen Großaufnahmen auskommt, stets sind Hände und Arme im Bild, und agile Schwenks beglaubigen, dass hier tatsächlich die Darsteller kochen – unter Anleitung des Sternekochs Pierre Gagnaire wohlgemerkt. Auf Filmmusik kann Tran Anh Hung verzichten (auch das ist modern), die Bewegungen sind musikalisch genug.

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