Kritik zu Die Blüte des Einklangs

© Neue Visionen Filmverleih

Die japanische Regisseurin Naomi Kawase verhandelt einmal mehr ihr ­Lieblingsthema: die naturmystische Vision einer Wiedergeburt. Diesmal mit
einem europäischen Gesicht (Juliette Binoche) in der Hauptrolle

Bewertung: 3
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Die Reisereporterin Jeanne (Juliette Binoche) sucht nach einer Pflanze namens »Vision«. In den abgelegenen japanischen Yoshino-Bergen vermutet sie dieses Kraut, das angeblich nur alle tausend Jahre blüht und den Menschen dabei von Ängsten und Schwächen befreien soll. Linderung ihrer Seelenpein kann die Französin gut gebrauchen. Sie hat einen tragischen Verlust erlitten, den die Heilpflanze kompensieren soll.

Hoffnung auf eine Wiederkehr des Verlorenen – das ist die Ausgangssituation im neuen Film von Naomi Kawase. Es geht um den Menschen und sein Verhältnis zur Schöpfung, um das große Ganze also. Sorgfältig fotografierte Bilder des Waldes erzeugen eine ähnlich tranceartige Stimmung wie in dem Drama »Still the Water«, das die Japanerin einem breiteren Publikum bekannt machte. Der entschleunigte Sog der Bilder hat eine beruhigende Wirkung. Irgendwann stellt sich dann aber doch die Frage: Worum geht es?

Mit Juliette Binoche hat Kawase eine Darstellerin gewählt, die ihre enigmatisch-fernöstlichen Visionen einem westlichen Publikum nahebringen soll. Zugänglich ist ihre filmische Meditation allerdings nur zu Anfang. Jeanne quartiert sich bei einem wortkargen Förster namens Tomo (Masa­toshi Nagase) ein, einem zurückhaltenden Mann, der ein besonderes Verhältnis zu den Wäldern hat. Klischeehaft entwickelt sich zwischen den beiden eine erotische ­Beziehung, für die sich die Regisseurin aber ­leider genauso wenig zu interessieren scheint wie für ihre Figuren im Großen und Ganzen überhaupt. So erklärt Tomo, er habe sich zurückgezogen, weil er »müde« geworden sei. Was ihn erschöpfte, bleibt so unklar wie die Vergangenheit Jeannes. In dokumentarisch anmutenden Interviews äußert sich ein alter Mann besorgt über den Raubbau an der Natur. Auch dieses Thema bleibt ­
vage. Fällt Tomo einmal mit der Kettensäge einen Baum, so ist dieses Bild der Zerstörung ­plakativ. Denn mit seiner Arbeit kultiviert er ja zugleich den Wald.

Ins Zentrum der allmählich sich vortastenden Erzählung rückt jene Kräutersammlerin Aki (Mari Natsuki), um die Tomo sich kümmert. Aus der Sicht der blinden Greisin, die gemäß einem esoterischen Gemeinplatz eine Seherin ist, deutet sich an, dass die gesuchte Heilpflanze ein reinigendes Feuer ist. Am Rande dieses Infernos kommt Aki – die eine Art Leihmutternatur verkörpert – allein im Wald nieder. Kompensiert sie so den ­Verlust, den die Französin Jeanne erlitt?

Man kann diese naturmystische Dreiecksgeschichte, bei der einmal die Ewigkeit umrundet wird, kaum in angemessene Worte fassen. Was vielleicht auch daran liegt, dass der Regisseurin der erzählerische Faden zu entgleiten scheint. Die Bilder verlieren ihre visionäre Kraft. Zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Wer die späten Filme von Terrence Malick mag, wird sich vielleicht auch von Kawases spekulativer Mystik bezaubern lassen. Wer aber nur Verrätselung um der Verrätselung willen sieht, wird nur Banalitäten entdecken.

Meinung zum Thema

Kommentare

Hallo,
schade, ich hatte mir aufgrund der interessanten Inhaltsbeschreibung einen aussergewöhnlichen, tiefgehenden Film erhofft. Leider war das meines Erachtens nicht so und ich bin sehr enttäuscht.

Aus dem tollen Thema hätte man viel mehr machen können als sich wiederholende (!) Filmsequenzen des rauschenden Waldes, gedankenschwere Blicke und verheissungsvolle Andeutungen. Das seiende Nichtsein. Oder so. Alles kam mir irgendwie sehr bemüht vor.

Was nahm ich mit nach Hause? Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hängen irgendwie zusammen. Und alles hat irgendwie tiefen Sinn in der Welt. Aha! Wer hätt's gedacht. Schöne Waldbilder.

Sorry für den Sarkasmus, aber ich freute mich vorher so auf den Film. Ggggrrrr... Elena

Meiner Meinung nach war der Verlust ganz klar der, dass sie in jungen Jahren eine Beziehung zu Rin's Vater hatte und sie mit Rin schwanger wurde. PRIMZAHLEN = RIM'S Vater und sie konnten keine Lebensgemeinschaft führen aufgrund inkompatibler Herkunft (wer Japan kennt, versteht)
So ließ sie Rin als Säugling alleine und dieser wuchs bei Zieheltern auf
Sie kam zurück, um den Schmerz in ihm, in ihr und in Rims Vater zu heilen mit Hilfe "Vision". Der Vater hilft beim Ritual mit!

Langatmig. Verwirrend. Die Erwartung war groß, die Enttäuschung ebenso. Ich gehe konform mit dem Kommentar von Elena.

Ja es gibt Klischees und man hätte mehr daraus machen können
aber es geht hier auch um dich was machst du damit.
Die Bilder sind ein Traum, warum sagen wir, das habe ich Geträumt und nicht, dass habe ich gemacht.

Ja, wie bereits von 'Elena' hier genannt, traumhaft schöne Bilder, Stimmungen und auch eine sehr stimmige Besetzung, sound/Klang, eine tolle story, aber - die Handlungsstränge verlieren sich, verwässern und damit vorbei mit einer sinnhaften Entwicklung und Fortführung. Die Poesie der Liebe, die Mystik, es war alles schon so wundervoll und magisch vorhanden. Am Ende ist man leider sehr enttäuscht. Schade. Was ist geschehen, liebe Regisseurin ?

Die Meinungen kann ich bestätigen, es verliert sich etwas, warum stirbt der Hund...........
und was ist mit der Pflanze nach der gesucht wird............. und dann der Durcheinander um den Säügling, Binoche spricht doch, ich bin schwanger.......und dann, keine Ahnung, warum wird das Kind weggegeben und von wem ist es denn jetzt......
ja durch Schmerz entseht Verwandlung.....
welche auch immer, das liegt darn wie man mit ihm umgeht und loslässt.

Da Arté diesen Film gerade gezeigt hat und noch einige Zeit in der Mediathek vorhält, rege ich an, dass alle Kritiker den Film noch ein- bis zweimal sehen sollten, bevor sie ein öffentliches Urteil von sich geben. Herkömmliche Sehgewohnheiten genügen hier nicht. Ich bin sicher, dass Herr Riepe und alle nachfolgenden Kritiker ihre Ansichten zumindest teilweise revidieren würden. Mir ging es jedenfalls so, dass ich vieles erkannte, was die Regisseurin nur so und nicht anders drehen konnte. Meine anfängliche Skepsis ist auf ein Minimum zusammengeschrumpft, nachdem ich nicht aufgab.

Wenn "Westler" einen japanischen Film sehen: schade!
Die inzwischen erwachsene Tochter von Botanikern (Jeanne), die vor vielen Jahren im japanischen Wald Kräuter untersuchten, ist Reiseschriftstellerin geworden. Als Kind und Jugendliche war sie bei dem Forschungsprojekt der Eltern ebenfalls in diesem Wald, diesem Dorf. Sie bricht auf zu diesem Ort, den es schon nicht mehr gibt, offenbar ist nur noch ein Schrein übrig geblieben und alte Menschen, die sich an "ihr" Dorf und die Ereignisse von früher erinnern machen schon mal einen Ausflug dort hin. Ein "Aussteiger" (Tomu), der in dieser Gegend Arbeit und Unterkunft fand- also dort heimisch geworden ist, sucht diesen Schrein täglich auf. Dort trifft die Schriftstellerin auf diesen Mann und da es im weiten Umkreis keine Unterkünfte gibt, bittet sie um Gastfreundschaft. Diese wird ihr und ihrer Begleiterin gewährt. Jeanne und Tomu freunden sich an, die Beziehung wird intim. Beim Sex verschwimmt das Gesicht Tomu`s und das eines anderen, jüngeren Japaners quillt hervor - Jeannes Erinnerungen verschwimmen mit dem hier und jetzt. Sie schläft "eigentlich" mit ihrer Jugendliebe anstatt mit Tomu. Die Regie konnte zwar einen jüngeren Japaner dafür aus dem Hut zaubern - eine jüngere Binouche (Jeanne) aber nicht. So wurden Erinnerungsszenen, in denen Jeanne als Jugendliche gezeigt werden würde sehr trickreich verfilmt. Das gelang nicht immer. Eine Schlüsselaussage für den ganzen Film ist: wir können nichts zeitlich verorten. Jeanne hatte in ihrer Jugend eine Beziehung, in der sie auch schwanger wurde. Der junge Liebhaber kam ums Leben, bevor irgendwelche Regelungen getroffen werden konnten. Vermutlich wurde er versehentlich bei einer Jagd im Wald erschossen. Jeanne brachte das Kind im Wald zur Welt - wo Ake (die Seherin und Kräuterfrau) es an sich nahm und bei den Eltern des verunglückten Liebhabers vor die Tür legte. Diese zogen das Kind auf, ohne zu wissen, dass es ihr eigener Enkel war. Sie hatten gerade ihren Sohn verloren und das Baby war sozusagen ein Geschenk des Himmels. Da das Dorf irgendwann aufgegeben wurde, zogen sie mit dem Kind fort. Als junger Mann unternimmt dieses "Kind" (Rin mit Namen) einen Ausflug in das alte Dorf, verunglückt aber und verletzt sich.
Tomu findet den jungen Mann und versorgt ihn bei sich zuhause. Auch hier erwächst eine Beziehung, der junge Rin bleibt und macht sich nützlich. Als Jeanne nach einer Stipvisite in Frankreich zurück kommt, hat sich bei Tomu einiges verändert. Jeannes Platz auf dem Dachboden wird von Rin beansprucht. Es scheint auch eine Männerfreundschaft entstanden zu sein. Tomu outet sich, dass er froh über Rin`s Anwesenheit ist. Jeanne findet sich in die neue Situation ein und pflegt ihre Beziehung zu Tomu weiter. Vision, die mystische Pflanze soll bald aufblühen und war der Film bis dahin schon rätselhaft verklausuliert - jetzt dreht die Regisseurin völlig auf. Mit der imaginären Pflanze - eigentlich soll es ein Pilz sein, der Sporen freisetzt - wird aus dem rätselhaften ein mystischer Film. Hatte Ake vorher schon Jeanne als "Die Französin" erkannt, die Rin geboren hatte - am Ende des Films erkennt auch Rin seine leibliche Mutter - und die bestätigt das. Die große Seelenlast, die Jeanne mindestens zwei Jahrzehnte unglücklich machte hat sich nun aufgelöst.

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