Kritik zu Der Freund
Die wundersame Geschichte von einem, der erst zum Freund wird, nachdem die vermeintliche Freundin gestorben ist. Suizid oder Unfall? Das Wunderbare an diesem Spielfilmdebüt ist, dass es darum gar nicht geht. Sondern: um viel mehr
»Tell the moon« heißt die CD von Larissa (Emilie Welti alias Sophie Hunger), die mit ihrem sternenübersäten rosa T-Shirt selbst wie ein gefallener Stern aussieht, der sich auf der Erde nicht zurechtfindet. Melancholie heißt die Stimmung, die vom ersten Bild an über dem Film liegt, eine Mischung aus Weltschmerz und ungestillter Sehnsucht, an der die beiden Protagonisten »leiden«. Larissa tritt allabendlich mit ihrer Gitarre und ihrer Traurigkeit in einer Zürcher Szenekneipe auf. Emil (Philippe Graber), ihr treuester Zuschauer und Zuhörer, schreibt ihr eine Mail, die unbeantwortet bleibt. Zufällig trifft er sie kurz darauf auf der Straße, und sie fragt ihn, ob er ihr Freund sein wolle. Als er sie zum ersten Mal anruft, ist sie schon tot. Dafür lernt er jetzt ihre Familie kennen, die ihn wie einen Schwiegersohn aufnimmt und ihm damit eine Rolle anbietet, die er zunächst zögerlich, dann allerdings immer mutiger ausfüllt. So wird Emil zum Freund, der er nie war, wird das, was er sich so sehnlichst herbeigewünscht hat. Einfach Freund sein und eine Freundin haben. Raus aus der Einsamkeit.
Micha Lewinskys Regiedebüt ist ein wahres Schatzkästlein. Einen so sorgfältig ausgearbeiteten, bis ins Detail stimmigen Film muss man erst einmal finden (und erfinden). Die melancholische Grundstimmung wird zwar von Sophie Hungers Liedern angefacht, wird aber genauso von den Zwischentönen in der Farbgestaltung aufgefangen, die, zwischen Rosa und Hellblau wechselnd, die Coming-of-Age-Story genauestens auf den Punkt bringt. Die wasserblauen Augen und das aschblonde Haar dieses Emil sind Stichwortgeber für eine Farbpalette, die sich besonders gut für die vielen Spiegelungen eignet. Hinter Glas sitzen die Protagonisten, noch nicht richtig angekommen im Leben, auch suizidgefährdet. Larissa war wohl depressiv, aber Emil ist nur verklemmt, unsicher, einsam. Eigentlich schert sich nur seine Mutter um ihn, die extra den Schlüssel stecken lässt, um ihm aufzuschließen, wenn er spät nach Hause kommt.
Emil blüht auf, als er auf eine vollwertige Familie trifft, Vater, Mutter, Schwester (der Verstorbenen), er wird zum Katalysator der Trauer. Denn er trauert ja nicht in Wirklichkeit, sondern wird zum Berater, auch zum Kasper, der mit seinem trockenen Humor den Schmerz lindert. Das ist gerade das Besondere am Freund, dass er nicht in Trübsal versinkt, sondern eine leise Melodie anschlägt, die vom richtigen Leben erzählt, wo jedem ein Freund oder eine Freundin und eine Familie zustehen. Wo das Leben weitergeht, auch wenn einer sich verabschiedet. So geschieht es, dass Emil eines Tages nicht mehr vor der tiefblauen Wand in seinem Zimmer zu Bett geht, sondern eine Reise antritt – ans Mittelmeer. Vom nächtlichen oder wolkenverhangenen Zürich zur Sonne des Südens – von der Enge in die Unendlichkeit. Welch ein Schritt!
Micha Lewinsky hat diesen Schritt mit leisen Tönen vorbereitet und lässt den Film doch irgendwie am Schluss explodieren. Ins Freie! schreit es da laut und eindringlich. Was diese neue Freiheit alles bedeuten kann, ist dem Zuschauer überlassen. Der erinnert sich, wenn er schon älter ist, dass es genau so einmal gewesen ist.
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