Kritik zu Das Bourne Vermächtnis
Steht Bourne drauf, ist aber kein Bourne drin, jedenfalls kein Jason Bourne, sondern ein schicksalsverwandter Ersatzmann, der als Ex-CIA-Agent einen actiontauglichen Parcours absolviert
In der Galerie der Hollywoodstars gibt es aktuell keinen anderen, der den Typus des All- American Boy so rein verkörpert wie Matt Damon. Damon ist der prototypische Junge von nebenan, immer korrekt gescheitelt, unangefochten von künstlerischen, dandyhaften oder andersartigen Versuchungen der Dekadenz. Ein Inbild des Gewöhnlichen – das sich bestens eignet für Persönlichkeitsspaltungen ins Außergewöhnliche. So faszinierte Matt Damon in der Rolle des intellektuellen Genies (Good Will Hunting) und der des mörderischen Spießers (Der talentierte Mr. Ripley) oder als Agent in der Identitätskrise namens Jason Bourne, der aus der Amnesie erwachend feststellen muss, dass er einem ominösen CIA-Programm zur Herstellung besonders kampftauglicher Agenten entstammt (Die Bourne Identität, Die Bourne Verschwörung, Das Bourne Ultimatum).
Für frühere Agenten der Filmgeschichte war »Identitätskrise« ein Fremdwort. James Bond hatte seine Martinis, seine Girls, ein trickreiches Arsenal an Kampfspielzeugen und die unbestrittene Mission, den nach Weltherrschaft strebenden Tyrannen zu beseitigen. Matt Damon alias Jason Bourne war der zur postmodernen Ära der Identitätskrisen passende Agent. Gejagt von seinen ehemaligen Auftraggebern, zum »Systemfehler« geworden, eine Person, die ihr Personsein erst noch ermitteln muss. Als tragische Figur trug Bourne sogar Züge eines Ödipus: Auf der Suche nach dem Übel in der Welt sieht er, dass er selbst ein Teil davon ist. Von all diesen Konnotationen und mythischen Anspielungen findet sich in der vierten Ausgabe der Bourne-Saga, Das Bourne Vermächtnis (Regie führte Tony Gilroy, der als Regisseur mit Michael Clayton debütierte und bei den ersten drei Bourne-Filmen am Drehbuch mitarbeitete), nur Rudimentäres. Dazu passt, dass auch von dem bislang üblichen nervösen Handkamerastil nur Andeutungen geblieben sind. Vor allem fehlt der Titelheld.
Weil Damon nicht mehr zur Verfügung stand, gibt es nun den Bourne-Ersatzmann Aaron Cross (Jeremy Renner), der zu Beginn im winterlichen Alaska nackt in einen Fluss springt, um eine kleine Schatulle mit grünen und blauen Pillen heraufzuholen. Die Pillen machen aus ihm keinen Superhelden, verleihen ihm aber außerordentliche physische und mentale Fähigkeiten. Wie einst Bourne gehört Cross zu einem Geheimprogramm der amerikanischen Spionageabwehr, das seine Agenten genmanipulatorisch in effiziente Einzelkämpfer verwandelt. Und weil dieses Programm aus dem Ruder gelaufen ist, sollen die sechs auf die grünen und blauen Pillen angefixten Agenten getötet werden. Mittels kleiner, gelber, dreieckiger Tabletten, die zuerst Nasenbluten und dann Herzstillstand verursachen.
Nicht nur Revolutionen, auch CIA-Programme fressen ihre Kinder. Cross aber kann entkommen; zusammen mit der hübschen Ärztin Marta Shearing (Rachel Weisz) düst er nach Manila. Marta hatte zwar keine moralischen Bedenken, an einem genetischen »Menschenverbesserungsprogramm« zu arbeiten, findet es nun aber gar nicht okay, dass die Versuchskaninchen getötet werden sollen.
Der Film verfährt mit dem Vermächtnis der Bourne-Trilogie wie ein braver Insolvenzverwalter. Die Standards werden geboten, ergeben bisweilen spannende Actionpassagen, bleiben insgesamt aber ohne inszenatorischen Esprit. So zeigen sich die finalen Verfolgungsjagden im quirligen Manila in den drei Mustervarianten: mittels Automobil, Parkour- Springen und Motorrad. Und die zahlreichen Szenen in der Geheimdienstzentrale präsentieren das Allzubekannte: die totale Erdüberwachung per Monitorwand, das knurrige Kompetenzgerangel der Verantwortlichen, das schmallippige Statement des Programmleiters (Edward Norton), der moralische Bedenken mit dem Hinweis auf machtpolitische Notwendigkeiten beiseiteschiebt.
Jason Bourne hatte mit den Frauen/Komplizinnen an seiner Seite (Franka Potente, Julia Stiles) untergründig flackernde Affären. In dem Hin und Her zwischen seinem Getrimmtsein auf Kälte und keimender Emotion wurde er charakterlich als Held greifbar. Im Vergleich dazu bleibt Aaron Cross gesichtslos. Keinen einzigen Blick der Bezauberung oder auch nur der Irritation richtet er auf Marta.
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