Kritik zu Berlin Syndrom
Die deutsche Hauptstadt als Touristenfalle: Die australische Regisseurin Cate Shortland (»Lore«) verlegt in ihrem neuen Spielfilm das Backpacker-Horrorthema nach Berlin
Horrorfilme – besonders die des englischsprachigen Raums – setzen meist als selbstverständlich voraus, dass eine Reise ins Ausland im Grauen endet. Mag die Konfrontation mit den Fremden und Fremdsprachigen zunächst an- und aufregend wirken, besagen die Regeln des Genres, dass die Protagonisten ihr gewähltes Reiseziel bald nicht mehr verlassen können – womöglich nie wieder. Nun ist »Berlin Syndrom« zwar kein lupenreiner Horrorfilm, dennoch hält er sich recht treu an diese Maximen.
Die australische Fotografin Clare (Teresa Palmer) ist in der deutschen Hauptstadt auf Selbstfindungstrip: Frustriert von ihrem Job in Brisbane hofft sie in Berlin endlich, verpasste Lebenserfahrung nachzuholen. Bei einem Fototrip durch Kreuzberg trifft sie auf Andi (Max Riemelt), in ihren Augen wohl das Bild des deutschen Mannes: blond, durchtrainiert, gebildet. Der Englischlehrer verwickelt die Touristin in ein charmantes Gespräch, und schon bald landen die beiden im Bett. Froh, der Hostel-Welt entkommen zu sein, quartiert sich Clare in Andis gemütlicher, aber arg abgeschiedenen Wohnung ein. Erste dubiose Warnzeichen verdichten sich schließlich zu einer grausigen Erkenntnis: Clare ist nicht Gast, sondern Gefangene, und ihr Schwarm entpuppt sich als sadistischer Triebtäter, vor dem es kein Entkommen gibt. Mit der Zeit aber beginnt sich das Verhältnis zwischen Entführer und Geisel beinahe zu einer Art perversen Beziehung zu wandeln...
Wäre »Berlin Syndrom« nicht so unironisch und genremäßig inszeniert, man könnte Regisseurin Cate Shortland beinahe unterstellen, einen satirischen Kommentar auf die ungezählten internationalen Backpacker abgeben zu wollen, die zunehmend in Berlin stranden. Auch ihr selbst scheint der Sog nicht ganz fremd zu sein: Nach dem NS-Historienfilm »Lore« drehte sie nun bereits ihren zweiten Film in Deutschland. Diese Verfilmung des Romans von Melanie Joosten aber lässt kaum alternative Deutungsebenen zu; stattdessen ergeht sich Shortland erschöpfend in den Klischees des Entführungsthrillers.
Um der komplexen Beziehung zwischen Kidnapper und Opfer, die schon unendlich vielen Filmen als Grundlage diente, etwas Neues abzugewinnen, braucht es aber deutlich mehr Anstrengung. Max Riemelt macht seine Sache als Biedermann mit soziopathischer Veranlagung und DDR-Kindheitstrauma zwar durchaus gut, die Hauptdarstellerin Teresa Palmer bleibt als Clare aber recht blass. Das vorrangige Problem ist jedoch das Drehbuch, das Täter wie Opfer nur in Phrasen kommunizieren lässt und die extrem simple, wendungsarme Story unnötig auf beinahe zwei Stunden aufbläst. Da helfen auch keine ästhetischen Berlinimpressionen oder unangenehmen Gewaltspitzen mehr; jede narrative Entwicklung des Films – etwa die Beinaherettung durch einen unbedarften Dritten – hat man so schon zu oft gesehen. Für seinen eigenen psychologischen Anspruch bleibt der Film viel zu flach, für die benötigte Genre-Credibility hingegen bräuchte es deutlich mehr Variationen der gängigen Erzählelemente.
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