Kritik zu Lore
Cate Shortland erzählt von einer Reise durchs kriegszerstörte Deutschland und von einer 15-Jährigen, deren Nazi-Weltbild kollabiert
Es ist das Jahr 1945. Der Krieg ist in das Land heimgekehrt, von dem er 1939 in die Welt getragen wurde. Eine Art »Entnazifizierung« beginnt schon jetzt, als Vernichtung von Beweismaterial durch die Täter. Hitlerporträts verschwinden von den Wänden, belastende Dokumente gehen in Rauch auf. Auch Lores Vater, ein hoher SS-Offizier, entzündet ein Feuer vor der Villa, bevor sich die Familie in einer entlegenen Waldhütte versteckt. Doch die Eltern entgehen der Verhaftung durch die Amerikaner nicht, und die 15-jährige Lore und ihre kleineren Geschwister machen sich, ganz auf sich allein gestellt, auf den Weg zur Großmutter. Es ist eine Reise durch ein verheertes Land, vom Süden Deutschlands hoch in den Norden. Lore, die Verfilmung eines Romans von Rachel Seiffert, eine deutsch-australische Koproduktion und der offizielle Kandidat Australiens für den Auslands-Oscar, ist acht Jahre nach Somersault erst der zweite Kinofilm von Cate Shortland. Er schildert die gefahrvolle Wanderung durch die verschiedenen Besatzungszonen als Passage zwischen Krieg und Frieden, zwischen totaler Auflösung und nur langsam beginnender Neuordnung durch die Alliierten. Und da Lore ganz aus der Perspektive der Titelfigur erzählt ist, spielt der Film auch in einem Zwischenreich von Kindheit und Erwachsenwerden – für Lore ein langer, schmerzvoller Abschied von den Lügen der Nazieltern.
Diese so deutsche wie ungewöhnliche Geschichte setzt die Australierin in erstaunlich schöne, manchmal lyrisch überhöhte Bildern voller Symbolkraft. Zahlreiche Nah- und Großaufnahmen, virtuos montiert von Veronika Jenet (Das Piano), betonen das Fragmentarische des Blicks, der nur einen winzigen Ausschnitt jener Zeit spiegeln kann und will.
Zwischen den Topoi des Endzeitfilms, den Bildern von zerstörten Panzern und verwesenden Leichen, von herumirrenden Flüchtlingen und versprengten Soldaten, scheint immer wieder auch etwas Märchenhaftes auf. Wenn die elternlosen Kinder durch die deutschen Wälder wandern und an einsamen Bauernhäusern um etwas Brot betteln, dann wirkt das Land bisweilen wie von den Brüdern Grimm erdacht und von den Nazis verdorben. Wie deren böse Märchen von Führer, Volk und Vaterland, an die Lore anfangs noch so bedingungslos glaubt, langsam zerbröseln, das zeigt die Schauspielerin Saskia Rosendahl in ihrem Spiel auf sehr plastische Weise. Von anfangs mädchenhafter Glätte gewinnt es an Konturen und Charakter, spiegelt eindringlich die tiefe Krise, in die die schrecklichen Wahrheiten über die Verbrechen sie stürzen.
Die suggestive Metaphorik des Films gerät jedoch in einen Widerspruch zum Bemühen, diese individuelle Entnazifizierung psychologisch nachvollziehbar zu machen. Das fällt besonders in den Szenen mit dem wenig älteren Thomas auf, der sich den Kindern anschließt und ihr Beschützer wird. Sein Pass weist ihn als jüdischen KonzentrationslagerÜberlebenden aus, weshalb Lore zwischen antisemitischer Verachtung und erotischer Anziehung hin- und hergerissen ist. Dem drohenden Kitsch entgeht der Film zwar, weil er mit kluger Umsicht Fragen offenlässt, doch die Kraft, die er in vielen anderen Szenen entfaltet, fehlt leider gerade in dieser Konstellation. Sie wirkt wie therapeutisches Beiwerk in einem in vielerlei Hinsicht beeindruckenden Film.
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