Kritik zu Ausgeflogen
Lisa Azuelos, seit dem Kassenhit »LOL« eine der erfolgreichsten französischen Regisseurinnen, konzentriert sich auch in ihrer neuen autobiografisch angehauchten Komödie auf eine Mutter-Tochter-Beziehung
Eine Mutter dreht ein bisschen durch, nachdem sie erfahren hat, dass ihre jüngste Tochter nach dem Abi ein Studium in Kanada beginnen will – und also nicht nur als letztes ihrer drei Kinder das häusliche Nest verlassen, sondern darüber hinaus elend weit entfernt sein wird. So in Kurzform die Handlung dieser Pariser Mutter-Tochter-Komödie, in der die Kunst das Leben imitiert. Das 18-jährige Nesthäkchen Jade wird gespielt von Regisseurin Azuelos' Tochter Thaïs Alessandrin, die bereits ihr Leinwanddebüt im mütterlichen Erfolgsfilm »LOL« (2009) vollzogen hatte. In »LOL« ging es um eine Mutter, die angesichts der pubertären Launen ihrer 16-jährigen Tochter – mit Thaïs als kleiner Schwester – mit ihrem Latein am Ende ist. Der neue Film, fast eine Fortsetzung, ist noch stärker vom Privatleben der Regisseurin, die wie ihre Filmheldin drei Kinder allein aufzog, inspiriert: ein Eindruck, den das Duo – »das ist unsere Geschichte« – auch bestätigt.
Auch die Nachzüglerkomödie steckt einerseits auf »amerikanisch« unbefangene Art voller süßer, leerer Kalorien: ein dick aufgetragener Soundtrack, eine Mutter, die man, als Betreiberin eines gut gehenden Restaurants, kaum je arbeiten sieht, und, als Äquivalent zu den gut situierten Suburb-Frauen etwa in Nancy Meyers Komödien, eine großzügige Wohnung im schnieken Pariser »bourge du 16eme«-Milieu bewohnt.
Dann wiederum wird die Handlung nie durch gewollte Katastrophen und wichtigtuerische Problematisierungen angetrieben. Oft wirkt das Geschehen wie ein verfilmtes Tagebuch, eine Skizze der Gefühlslandschaft von Héloïse, die ihr Herz auf der Zunge trägt und die mit voller Wucht das unwiederbringliche Vergehen der Zeit spürt. Angesichts Jades' nahendem Auszug bekommen alltägliche Teenie-Baustellen – Schule, Jungs, Partys – einen dramatischen Bedeutungszuwachs. Das einzige, was einem »plot point« ähnelt, ist Héloïse' kleiner Nervenzusammenbruch beim Verlust ihres Smartphones, mit dem sie, um sich Erinnerungen zu verschaffen, obsessiv ihre Tochter gefilmt hatte. Und wenn sich Héloïse' Blick auf ihre Jüngste verdoppelt, wenn sie gleichzeitig die junge Frau und das kleine Mädchen sieht, atmet die Darstellung, ganz unprätentiös, Wahrheit. Die Direktheit, mit der Rückblenden – etwa wenn Héloïse wegen ihrer Kinder nette Lover von der Bettkante stößt – mit der Gegenwart synchronisiert werden, verleiht der Komödie einen bittersüße Melodie.
Angesichts Héloïse' leicht verstörender Affenliebe für ihre Jüngste, die mit ihr gelegentlich das Bett teilt, sei ein küchenpsychologischer Hinweis auf Azuelos mutterlose Kindheit erlaubt – wurde sie doch selbst, laut eigener Aussage »von 0 bis 9 Jahren« auf ein Internat abgeschoben. Es verwundert nicht, dass die ungewöhnlich reflektierten Filmkinder oft die Beschützerrolle für ihre emotionale Mutter übernehmen. Sandrine Kiberlain, deren komisches Talent bisher nur in Nebenrollen als zickige Ehefrau aufblitzte, ist in ihrer gelegentlich improvisierten One-Woman-Show als abwechselnd draufgängerisches und verletzliches Muttertier durchgängig großartig.
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