Kritik zu Bonhoeffer
In seinem umstrittenen Film stilisiert der amerikanische Regisseur Todd Komarnicki den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zu einer Erlöserfigur im Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror
Die Inanspruchnahme des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) durch evangelikale und rechtsextreme Kreise in den USA verlief hierzulande bislang weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. In Verdrehung historischer Tatsachen und der Entkontextualisierung von Zitaten bog etwa der US-amerikanische Bonhoeffer-Biograf, Trump-Verehrer und einer der Köpfe der evangelikalen Rechten, Eric Metaxas, ihn zur Ikone des rechten Widerstands um. Wie seinerzeit Bonhoeffer gegen die Nazis, so wird suggeriert, müssten sich heute Christenmenschen gegen »das Böse« zur Wehr setzen, so Metaxas in einer Talkshow kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen. Eine »Schlüsselfigur für diesen Missbrauch« nennen die Nachfahren der Geschwister Bonhoeffers den Biografen. Anlässlich des US-Starts des Films, für den Metaxas angeblich nur eine Anregung unter vielen bildete, reagierten sie in einem offenen Brief »mit Entsetzen« darauf, wie Bonhoeffers Vermächtnis »verfälscht und missbraucht« und ein »friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund« zu einem »evangelikalen Heiligen« gemacht werde.
Ein Heiliger mit Pistole in der Hand, so stilisierte ihn das amerikanische Filmplakat zu einem bewaffneten Kämpfer, der Bonhoeffer nicht war, was aber zur reißerischen Werbung des evangelikalen Verleihs Angel Studios passt: »Bonhoeffer wird in das Epizentrum eines tödlichen Plans gerissen, Hitler zu ermorden« – was allerdings im Film keine größere Rolle spielt. Der deutsche Verleih Kinostar dimmte den Titel vorsorglich herunter, er lautet nun schlicht »Bonhoeffer«.
Mit dem historischen Bonhoeffer, dem Mitbegründer der Bekennenden Kirche, der 1943 verhaftet und am 9. April 1945 auf ausdrücklichen Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg erhängt wurde, hat dieses zähe Epos im Wesentlichen nur die Lebensdaten gemein. Dramaturgisch verworren und in einem zunehmend unerträglich predigthaften Ton inszeniert Regisseur Todd Komarnicki seinen Helden (Jonas Dassler) als eine Erlöserfigur, die am Vorabend der Hinrichtung den Mitgefangenen das letzte Abendmahl reicht. Ein Heiliger, der unter der quälenden Frage leidet, ob Hitler zu töten oder ihn leben zu lassen die größere Sünde sei. »Bonhoeffer« will glauben machen, dass allein der christlich motivierte Widerstand die Hitler-Barbarei letztlich zu Fall bringen könne. Andere ernstzunehmende Gegner scheinen die Nazis nicht gehabt zu haben. So wird Bonhoeffers Hinrichtung zu einem mit kitschigem Pathos aufgeblasenen finalen Akt der Heiligsprechung. In Wahrheit wurden Dietrich Bonhoeffer und seine Mitdelinquenten in einem Akt letzter Demütigung von den Nazi-Schergen nackt zum Galgen geführt.
Eine Reihe von Mitwirkenden hat sich inzwischen in einer eigenen Mitteilung »tief besorgt« über eine missbräuchliche Verwendung des Films den Bedenken der Nachkommen angeschlossen, darunter die deutschen Schauspieler Jonas Dassler, August Diehl und Moritz Bleibtreu.
Kommentare
Zerriss
Abusus non tollit usum. Missbrauch soll nicht den rechten Gebrauch hindern. Ich habe den Film nicht gesehen. Möchte aber keine Vorerurteilung nur weil er aus der "falschen" Ecke kommt. Wenn der Film zu einer neuen Auseinandersetzung mit Bonhoeffer führt in dieser totalitären Welt, können wir uns freuen. Besser konstruktiv mit dem Film arbeiten. Bonhoeffer lesen. Den Film mit anderen Bonhoeffer Filmen zusammen anschauen als ihn vorerurteilen bevor er in die Kinos kommt.
Bonhoeffer
Der größte Skandal an diesem auch künstlerisch schlechten Film ist, dass er den Theologen Bonhoeffer völlig negiert. Ein Mann, der in seiner ersten Phase des Erwachsenenlebens mit großer Leidenschaft studiert, promoviert und sich habilitiert hat, wird im Film zu einem Studenten, der über seine Professoren lästert und die wesentlichen geistlichen Erkenntnisse von amerikanischen Erweckungspredigern und der Mama bekommt.
Trotzdem sollte man den Film sehen, um eine klare Einsicht zu bekommen, wie eine ernstzunehmende Bonhoefferrezeption auf keinen Fall möglich ist.
Verfilmung Bonhoeffer
Der Film „Bonhoeffer“ stammt aus einem Paralleluniversum mit vielen fehlenden und alternativen Fakten. Ich dachte bei der Vorführung sogleich an die sinfonische Dichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauß (1864-1949; 1898). Der Film ist auch deshalb nicht biographisch, weil er dazu zu viele Lücken hat, und sonst sind nur Perioden aus dem Leben aneinandergereiht, wenn nicht Stereotypen oder gar Klischees. Es fehlen eine Entwicklung und ein innerer Spannungsbogen. Schon das Drehbuch hätte bei weitem besser sein können.
Bonhoeffer wurde im KZ Flossenbürg gehenkt, im Film liegen Ort und Umstände anders. Nein, so geht es nicht! Wo bleibt Bonhoeffers jugendliche Verlobte Maria von Wedemeyer (1924–1977; Verlobung 1943)? Wo ist das „Hausgefängnis“ der GeStaPo in der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße? Bonhoeffer bleibt bis in den Tod ein pausbäckiger Student … ein Chargierter aus dem Corps Ecclesia? (Nicht sein Tübinger Igel!)
Dieser Film als eigenständiges Kunstwerk fragwürdiger Qualität kann sich weder mit der Biographie von E. Bethge (München: Kaiser 1968) messen noch kann er mit der Verfilmung aus dem Jahr 2000 (mit Ulrich Tukur) verglichen werden. Es handelt sich eher um einen Spiel- als um einen Dokumentarfilm. Der Mischung von Pfarramt, Agententätigkeit und Widerstand fehlt aber die Brisanz, Bonhoeffer war kein James Bond der christlichen Kirche. Teile der protestantischen Kirchen hier und in den USA feiern recht gerne ihren politischen Widerstand. Ein Erbauungsfilm?
Es waren bei der Vorführung (18:00 Uhr) übrigens nur fünf Besucher im Kino einer süddeutschen Groß- und Studentenstadt anwesend. (Und die Stadt war auch nicht Bonhoeffers Studienort Tübingen.)
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