Kritik zu Im Westen nichts Neues
1930 verfilmte Lewis Milestone Erich Maria Remarques Klassiker der Antikriegsliteratur zum ersten Mal. Nun verwandelt Edward Berger die Westfront in eine apokalyptische Dystopie, die noch vor Kinostart zum Oscarvorschlag aus Deutschland gekürt wurde
»Dies ist weder eine Anklage noch ein Bekenntnis. Es ist der Bericht über eine Generation, die vom Krieg zerstört wurde. Auch wenn sie seinen Granaten entkam.« So nüchtern wie ein Bericht ist es natürlich nicht erzählt, weder vom Autor Erich Maria Remarque, der den Krieg am eigenen Leib erfahren hat, noch von Edward Berger, der gut hundert Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und gut 90 Jahre nach der ersten Verfilmung von Lewis Milestone jetzt die erste deutsche Interpretation des Stoffes geliefert hat.
Am Anfang sieht man die jungen Männer, fast noch Kinder. Naiv und scheu schauen sie in die Welt, voll freudiger Erwartung eines großen Abenteuers und erfüllt von vaterländischem Pathos. Es ist 1917, die Lage an der Westfront ist schon ziemlich aussichtslos, monatelang wird hier erbittert um ein paar Meter Land gekämpft. »Es wird von euch erwartet, dass ihr wenigstens sechs Wochen überlebt!«, bellt der Kommandant, der die Teenager empfängt und notdürftig einweist: »Wollt ihr in sechs Wochen noch leben?«
Unter dem Vorspann war eine andere Gruppe junger Soldaten zu sehen, die aus den Schützengräben nach draußen, ins grauschlammige Schlachtfeld getrieben werden, wo sie einer nach dem anderen sterben. Ihre Uniformen werden eingesammelt, gewaschen und geflickt und dann wieder an nachrückende Soldaten verteilt, der ewige Kreislauf des Krieges, ein menschenverschlingender Moloch.
Auch heute noch packt der mit drei Oscars ausgezeichnete Film von Lewis Milestone von 1930. Doch Edward Berger überträgt die Erfahrung des Kriegs noch direkter, physischer auf den Zuschauer, lässt ihn die klamme Kälte, den nagenden Hunger, die Angst und das Grauen zusammen mit dem jungen Paul (Felix Kammerer) und seinen Kriegskameraden spüren. Die Szene, in der Paul zuerst auf einen französischen Soldaten einsticht und sich dann in rührender Verzweiflung um ihn kümmert, wirkt in der heutigen Version um einiges stärker, erst der Furor des Tötens, dann die Menschlichkeit der Fürsorge, erst die Sinnlosigkeit, dann die Besinnung.
In den Bildern, die Berger und der britische Kameramann James Friend erschaffen haben, ist der Krieg ein apokalyptisches Weltuntergangsszenario, das er mit der vollen Wucht des Kinos auf die Leinwand schleudert, in malerisch zerklüfteten Landschaften, aus denen nur noch ein paar winterliche Baumgerippe ihre kahlen Finger anklagend in den Himmel recken. Erde, Schlamm und Körper verschmelzen zu einer einzigen Masse, die alle Farben ausbleicht, bis der Farbfilm fast schwarz-weiß erscheint. Und irgendwann kündigen sich auf der Tonspur die ersten Panzer an, monströse Kriegsmaschinen, die die Erde erbeben lassen. Die Westfront als Dystopie, mit einem wuchtig dräuenden Sounddesign, das die Höllenmaschine des Krieges zum alles verschlingenden Monster macht.
»Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hinmüssen«, sagte Remarque einst. Diesen Kontrast beschreibt Edward Berger auf unnötig plakative Weise: Hier die Generäle in ihren gestärkten Hemden, die in den warmen Konferenzräumen Kaffee aus goldgeränderten Tassen schlürfen, dem Hund eine Hühnerkeule vom Esstisch herunterwerfen und sich beschweren, dass die Croissants vom Vortag sind. Dort die einfachen Soldaten, die hungern und sterben, in schlammverdreckten Uniformen und mit blutverkrusteten Gesichtern. Da löst sich Berger von der Vorlage, er verzichtet auf Pauls Heimaturlaub und bezieht stattdessen die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Abgesandten Deutschlands und Frankreichs und die sture Kriegstreiberei eines deutschen Generals (Devid Striesow) ein. Am Ende ist der Blick von Paul stumpf und leer. Der Tod wird da fast schon zum Akt der Gnade, erspart er doch ein Leben mit den Erinnerungen an das erlebte Grauen.
Kommentare
Im Westen nicht Neues - ist noch immer Wirklichkeit
Das Ergebnis total misslungener Politik ist Krieg. Leider sind derartig uneinsichtige staatspolitische Ergebnisse auch in 2023 noch wahrlich weltweit zu finden. Jedem Menschen sollte es ermöglicht werden den Schrecken Krieg klar zu erkennen. Krieg ist unmenschlich.
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