Kritik zu The Northman

© Universal Pictures

Sein oder Nichtsein – diese Frage stellt sich in Robert Eggers rauem Wikingerfilm, der auf den Ursprung der »Hamlet«-Geschichte zurückgeht, auf sehr, sehr elementare Weise

Bewertung: 3
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Vor dem Start von Robert Eggers' neuem Film »The Northman« gab es diverse Berichte über die akribischen Recherchen der Filmemacher. Von der Bekleidung bis zu den Behausungen sollte alles stimmen, größtmögliche Authentizität war die Devise, weshalb Eggers sogar Archäologen und Historiker zurate zog. Neu ist diese Versessenheit auf Akkuratesse bei ihm nicht. Bei seinem im Neuengland des Jahres 1630 spielenden Horrorfilm »The Witch« ließ er beim Bau der familiären Hütte zeitgenössische Werkzeuge und damals übliche Bauverfahren anwenden, auch wenn der Zuschauer das natürlich nicht sah. Ein bisschen wie Robert De Niro, der sich für »The Untouchables« die gleiche Seidenunterwäsche wie einst Al Capone schneidern ließ.

Bei »The Northman«, der um 900 nach Christus in den rauen Weiten Dänemarks und Islands spielt, bleibt der Sinn von Eggers' »Method Directing« noch rätselhafter. Die Bekleidung der Menschen besteht aus schlichtesten Kutten, die Steinhütten haben Strohdächer und werden sowieso meist niedergebrannt. Nicht ganz so genau nahm man es offenbar bei der Frisur der Titelfigur, deren zunächst wilde Zottelmähne bald einem Strähnchenschnitt weicht, der eher nach Vidal Sassoon als nach Wikinger aussieht.

Gespielt wird der schöne Nordmann namens Amleth von dem Schweden Alexander Skarsgård, der hauptsächlich durch Serienrollen in Produktionen wie »True Blood« oder »Big Little Lies« bekannt wurde. In letzterem gab er Nicole Kidmans gewalttätigen Ehemann. Gewalttätig ist er als »The Northman« auch, und Kidman spielt diesmal seine Mutter. Aber der Reihe nach: Zu Beginn ist Amleth noch ein zehnjähriger Knabe, der mitansehen muss, wie sein Vater, König Aurvandill (Ethan Hawke), vom eigenen Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet wird. Der Schurke reißt sich den Thron und Königin Gudrún (Kidman) unter den Nagel. Amleth entkommt den Schergen seines Onkels und schwört ewige Rache. 

Was nach der Flucht mit ihm geschieht, interessiert den Film nicht, es gibt kein mythisches Heranwachsen à la Conan. Die Handlung setzt »Jahre später« wieder ein. Der einst schmächtige Junge hat sich in einen kraftstrotzenden Krieger verwandelt, dessen animalische Grausamkeit sogar in einer brutal brandschatzenden Wikingerhorde heraussticht.

Diese Szenen, in denen Amleths »Charakter« als von Zorn getriebener Killer etabliert werden soll, sind virtuos inszeniert, und Skarsgård spielt diesen Nordmann mit einer ungeheuren physischen Präsenz. Allerdings hat es im aktuellen Kontext auch etwas Befremdliches, wenn auf der Kinoleinwand Dörfer niedergebrannt, Männer abgeschlachtet und slawische Frauen verschleppt werden.

Als Amleth erfährt, dass sein Onkel inzwischen das Königreich verloren hat und mit seiner Familie als Bauer in den unwirtlichen Weiten Islands lebt, sieht er seine Zeit zur Vergeltung gekommen. Als Sklave getarnt, lässt er sich an Fjölnir verkaufen und schmiedet einen Racheplan. In der geheimnisvollen Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy) findet er nebenbei die Liebe seines Lebens – eine künftige Königin, wenn er erst seine Mutter befreit und sein Reich zurückerobert hat. 

Nicht dass es dazu käme. »The Northman« ist weniger ein ausladendes Epos als vielmehr ein Kammerspiel: fast der gesamte Film spielt auf Fjölnirs abgelegenem Bauernhof. Er habe keinen »Gladiator« und keinen »Braveheart« drehen wollen, betonte Eggers in Interviews, und als Idee ist es originell, die Erwartungen an ein Wikinger­abenteuer derart zu unterlaufen. 

Damit das funktioniert, bräuchte es allerdings Figuren und Konflikte, die sich entwickeln. Bei »The Northman« ist die Rollenverteilung jedoch von Beginn an klar. Es gibt die Schurken, und es gibt den Rächer, ganz wie bei Ridley Scott und Mel Gibson. Eine frühe Andeutung, dass Fjölnir womöglich doch kein so böser Mensch ist, wird bald revidiert. Sein älterer Sohn ist der klassische Sadist, die weißblonde Olga das Abbild magischer Weisheit. Eines angemessenen Kontextes beraubt, wirken diese Figuren nicht mythisch, sondern klischeehaft.

Gerne wird betont, dass »The Northman« auf jener uralten Sage basiert, die einst Shakespeare zu »Hamlet« inspirierte. Dem möchte man entgegnen, dass es einen nach dem Film nicht mehr wundert, weshalb nicht »Amleth«, sondern »Hamlet« eine so weltberühmte Geschichte wurde. Es gibt in »The Northman« keine existenzialistischen Selbstzweifel oder moralischen Ambivalenzen. Gefühle werden mit dem Schwert ausgetrieben. Nicht einmal eine überraschende Enthüllung gegen Ende verändert Amleths Ziel. Und wo Shakespeares Held zauderte, werden Amleths animalische Instinkte mit einer Überdeutlichkeit ausbuchstabiert (man bezeichnet ihn als »Bär«) und inszeniert (er heult mit den Wölfen), die haarscharf an unfreiwilliger Komik vorbeischrammt. 

Über weite Strecken hat das trotzdem Unterhaltungswert. Eggers ist als Regisseur virtuos genug, die Besetzung charismatisch genug und Jarin Blaschkes Kameraarbeit atmosphärisch genug, um unser Interesse wach zu halten. Nicole Kidman und Claes Bang haben ein paar starke Momente, die Kampfszenen sind packend, die Naturaufnahmen überwältigend. In einer Szene, wenn Amleth mit einer Axt einen Schutzwall erklimmt, wird Hommage erwiesen an Richard Fleischers Meisterwerk »Die Wikinger«, ein Verweis, der indes umso deutlicher macht, wie sehr Eggers' Film dramaturgisch zwischen den Stühlen sitzt. Ihm fehlt die Tiefe eines Charakterstücks, der lange Atem eines Epos und vor allem das pure Vergnügen eines Abenteuerfilms (Fleischers Film hat alles). 

Der Name Amleth kommt aus dem isländischen und bedeutet so viel wie »Tölpel« oder »Dummkopf«. Das wiederum passt recht gut, denn bei aller archäologischen Recherche, aller handwerklichen Finesse und aller Hingabe ist »The Northman« am Ende doch eine recht stumpfsinnige Angelegenheit.

Meinung zum Thema

Kommentare

Sie haben mich positiv überrascht! Ich habe den Film gestern sehen können, war aufgeregt und man konnte wenig falsch machen bei diesen tollen Aufnahmen, der Geschichte etc. Der Film war wirklich sehr, sehr schlecht, so schlecht das ich ihn fast schon witzig fand. Man merkt bei ihrer Kritik das man Ihnen keine Kommission bezahlt hat um den Film gut zu vermarkten. Bravo!

Grauenvoll... :/
Der Film ähnelt einer Dokumentation: kaum Dialoge, sehr einfache, überschaubare Handlung, fast alles wurde im Dunkeln oder bei Dämmerung gedreht und dazu auch fast ausschließlich in/vor einer Behausung. Alles insgesamt sehr aufgesetzt und naja... arm.

Schwachsinn ist noch milde .

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