Kritik zu Härte

Trailer © missingFILMs

Rosa von Praunheim inszeniert die kriminelle Karriere eines Berliner Missbrauchsopfers und späteren Zuhälters als Dokufiktion über Missbrauch und Unterwerfung

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Als Kleinkind wird Andreas vom Vater mit Wasser übergossen und bei klirrender Kälte auf den Balkon gesperrt. Er überlebt. Später zerquetscht der Sadist ihm fast die Hand. Die Mutter deckt den Alten, weil sie ihn als Komplizen braucht. Mit sechs Jahren verführt sie ihren Sohn, der ab dem zwölften Lebensjahr regelmäßig mit ihr schläft. »Das Schlimme ist, ich wollte das, ich fand das gut«, erklärt Andreas in seiner 2007 erschienenen Autobiografie, die er zusammen mit seinem Therapeuten verfasste.

Sexueller Missbrauch von Jungs durch ihre Mütter geschieht häufiger als angenommen. Unter die Haut geht Andreas' Schicksal dank einer formal stringenten Verfilmung, die man von Rosa von Praunheim so nicht unbedingt erwartet hätte. Mit einer gelungenen Mischung aus fiktiven und dokumentarischen Szenen erzeugt der Pionier der Schwulenbewegung eine Nähe zu diesem schwierigen Charakter. Vor der Kamera erzählt dieser Typ, dem man früher nicht gerne im Dunkeln begegnet wäre, wie er sich als Reaktion auf die väterliche Misshandlung zum erfolgreichen Karatetiger stählte und zunächst als brutaler Inkassoschläger Karriere machte.

Was ihn nicht umbrachte, machte ihn gemäß dem Nazispruch »härter«. Die Genialität des Films besteht aber darin, den sexuellen Doppelsinn dieser Härte herauszuschälen. Den psychologischen Zusammenhang zwischen dem mütterlichen Missbrauch und seiner Laufbahn als eines der brutalsten Zuhälter Berlins beleuchten von Praunheim und seine beiden Koautoren Nico Woche und Jürgen Lemke mit gelungenen Spielszenen. Theaterartige Studiokulissen mit verblassten Fototapeten fangen die Atmosphäre der 70er Jahre ein. Katy Karrenbauer verkörpert die übergriffige Mutter, die ihren Sohn mit kellertiefer Stimme becirct: ein Besetzungs-Coup.

Überzeugend ist auch Hanno Koffler in der Rolle des körperbetonten Wüterichs, dem die Mutter alle Beziehungen zu anderen Frauen torpediert. Als Reaktion auf den Inzest riegelt er alle Gefühle in sich ab. Andreas rächt sich an einen bestimmten, labilen Frauentyp, meist selbst Missbrauchsopfer. Sie gehen für ihn auf den Strich, aus Liebe. Auf den intimen Mechanismus dieser Hörigkeit wirft der Film einen präzisen Blick. Die Szenen, in denen Koffler und Luise Heyer in der Rolle der Lieblingsprostituierten Unterwerfungsrituale durchexerzieren, sind an Drastik kaum zu übertreffen. Deutlich wird dabei, dass der Machtmechanismus auf Andreas' sexueller Enthaltsamkeit basiert. Substitut für erotische Hingabe ist eine permanente Drohgebärde, die den Frauen als Spiegelbild seiner Körperkräfte eine »Härte« im Sinn einer Dauererektion vorgaukelt: ein mieser Trick, tatsächlich ist der Lude impotent.

Ein Kunstfilmer wollte von Praunheim eigentlich nie werden, doch seine stilisierte Darstellung einer Missbrauchskarriere kann sich mit Fassbinder messen. Ähnlich wie Dominik Grafs Hotte im Paradies fühlt Härte sich in das verletzte Innenleben eines Zuhälters ein, ohne dessen frauenverachtenden Gestus zu rechtfertigen. Ein kleiner, aber wuchtiger Film, dessen »Härte« im Gedächtnis bleibt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Sehr geehrter Herr Riepe, als Therapeut von Andreas Marquardt und Verfasser des Buches bin ich schwer beeindruckt von Ihrer Kritik des Films, die in ihrer Tiefgründigkeit alles bisher zu Buch und Film Geschriebene mit Abstand übertrifft. Tatsächlich haben Sie den Kern erfasst (Das gedemütigte Kind rächt sich an den Schwächsten. Marion ist eine schwer missbrauchte Frau. Das Buch ist Ende 2006 erschienen, und von den sogenannten seriösen Medien ignoriert worden. Der Spiegel wollte über das Buch schreiben, hat sich dann aber mit dem Argument zurückgezogen, in "Härte" ginge es primär um die Verherrlichung des Rotlichtmilieus und eines gewalttätigen Zuhälters. Ich bin Rosa v. Praunheim, den exzellenten Darstellern und der ganzen Crew für den Film dankbar, denn er schafft es, die Substanz der Geschichte auf den Punkt zu bringen.
Ich grüße Sie,
Jürgen Lemke

Habe den Film bei der Berlinale gesehen und war genauso begeistert wie EPD Film (Hr. Riepe).

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