Millenium Actresses
Meine Begegnung mit ihr war kein reines Vergnügen. Im Gegenteil, unser Interview verlief höchst verdrießlich. Ihre häufigste Antwort lautete »Ich weiß nicht.« Statt über ihren aktuellen Film zu sprechen, überprüfte sie lieber, ob sie neue Nachrichten auf ihrem Smartphone erreicht hatten. Zum ersten Mal in meinem Berufsleben geriet ich in die Verlegenheit, eine Gesprächspartnerin zu ermahnen, sie solle sich gefälligst anstrengen und endlich ihre Arbeit machen. Zu meinem großen Erstaunen half das sogar etwas.
Womöglich habe ich Léa Seydoux damals einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt. Von dem Film, um den es ging – »Blau ist eine warme Farbe« – , hatte sie sich eigentlich schon erbittert distanziert. Abdellatif Kechiche, der Regisseur, mit dem sie sich nach der »Goldenen Palme« in Cannes eine epochale Fehde lieferte, saß am anderen Ende des Raumes und gab ebenfalls Interviews. Sie konnte nicht erwarten, dass er Lobeshymnen auf sie sang, und blieb selbst eisig zurückhaltend, wenn sie über ihre Zusammenarbeit sprach. Eine Atmosphäre der Feindseligkeit lastete auf dem Saal. Wir Interviewer wurden in dieses Gespinst gegenseitiger Kränkung verstrickt; vielleicht nicht mal schuldlos.
Meine Wertschätzung für die Schauspielerin Léa Seydoux hat dieses Erlebnis überraschenderweise nie geschmälert. Ich kann nicht sagen, dass ich sie je schlecht gefunden hätte (nicht einmal in der unseligen Neuauflage von »Die Schöne und das Biest«). Das Filmmuseum in Frankfurt widmet ihr ab heute Abend eine kleine Reihe. Die Auswahl ist klein und naheliegend, zeigt aber eindrucksvoll ihre Spannbreite; tatsächlich ist nur ein Film zu sehen, der bei uns keinen Verleih gefunden hat: »Grand Central« von Rebecca Zlotowski, wo sie an der Seite von Tahar Rahim (»Ein Prophet«) spielt. Den Auftakt bildet das Roadmovie »Plein Sud« (Auf dem Weg nach Süden), wo sie eine vergebliche (ihre Weggefährten sind weitgehend schwul) Lolita gibt.
In Interviews (nicht in unsrem) zitiert sie gern ein unglückliches Diktum Francois Truffauts, eine Schauspielerin sei wie eine Vase, in die man Blumen stellt. Zwar ist ihre Lust und Neugierde zu spüren, sich in das Universum unterschiedlicher Filmemacher zu begeben. Sie gibt sich ihrer Kamera rückhaltlos preis. Aber ein leeres Gefäß ist sie nicht.
Fast drei Dutzend Filme hat sie in gerade einmal zehn Jahren gedreht. Als Figur, als Darstellerin und Partnerin stellt sie für Zuschauer, Regisseure und Co-Stars eine Herausforderung dar. Man spürt, dass es bei ihr immer ums Ganze geht. Sie ist ein Kraftfeld, das die Verhältnisse zuspitzt. In »Leb wohl, meine Königin!« ist sie in jeder Szene zu sehen und gibt die Erzählperspektive vor. Léa Seydoux' Filme sind vielschichtige Bildungsromane; ihre Charaktere sind radikal in ihren Empfindungen, suchen nach dem Absoluten. Sie mögen mitunter schüchtern und verschlossen wirken, sind aber furchtlos. Oft träumen sie von einem anderen, aufregenderen Leben. Sie wollen sich den Zugang zu gesellschaftlichen oder erotischen Sphären verschaffen, die ihnen bislang verwehrt blieben. Sie blüht auf in den unsortierten Verhältnissen, den Leidenschaften zu dritt oder zu viert, in denen die Geschlechterrollen ausgehebelt werden.
Der Impuls, sich einem großen, dramatischen Schicksal zu stellen, prägt neben vielen anderen Figuren auch die hartgesottene Anführerin der Untergrundbewegung in »The Lobster«. Seydoux' Figuren erstreiten sich, worauf sie ein Anrecht haben. Es würde uns schließlich auch langweilen, wenn sie sich mit den Verhältnissen abfänden. Ihre Domäne ist das Aufbegehren. Wir erwarten von ihnen, dass sie Unruhe stiften, sich den Konventionen widersetzen und über die Gereimtheiten des bürgerlichen Lebens spotten. Man muss sich nur einmal anschauen, wie verwegen sie anmutet, wenn sie lässig eine Zigarette zwischen den Lippen hält!
Bei Setsuko Hara kann man sich so viel Nonchalance schwerlich vorstellen. Die Japanerin war ein stilleres Kraftfeld. Auch sie verkörperte den Aufbruch einer neuen Frauengeneration, aber ihre Entschlossenheit ist sanftmütiger. Zu ihrem Tod im letzten Herbst habe ich bereits ausführlich über sie geschrieben, in diesem Blog, sowie in einem Nachruf im Oktoberheft. Deshalb will ich nur kurz meiner Freude Ausdruck verleihen, dass sie das Berliner Arsenal im August mit einer Filmreihe feiert, die sich nicht nur auf ihre Arbeiten mit Yasujiro Ozu beschränkt, sondern auch einige Rollen bei Mikio Naruse, Keisuke Kinoshita und anderen in den Blick nimmt. Ich glaube, im letzten Jahre versäumte ich es darauf hinzuweisen, dass sie das Vorbild des Filmstars in Satoshi Kons hervorragenden Animationsfilm »Millenium Actress« ist. Wenn man sich teilen oder oft genug zwischen Berlin und Frankfurt pendeln könnte, wäre die Zusammenschau der beiden Hommagen ungemein aufschlussreich. Sie erzählen davon, was Kinoheldinnen einst noch nicht möglich war oder heute nicht mehr möglich ist.
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