Kritik zu Plein Sud – Auf dem Weg nach Süden
Ein Ford Mustang unterwegs gen Meer und Sonne: Der französische Regisseur Sébastien Lifshitz versucht das sinnliche Cross-over von Roadmovie, Western und französischem Autorenfilm
Vor seinem Aufbruch nach Süden, in den offenen Raum, verharrt dieses Roadmovie mit stotterndem Motor in einer hermetischen Landschaft. Eine Tastatur klackert, und als erstes Bild ist eine Ultraschallaufnahme zu sehen. »Die kleine Bohne ist ihr Baby«, sagt eine Stimme. Eine junge Frau liegt mit verstörtem Ausdruck auf einer Liege. Die Ärztin zwingt sie, die Herztöne des Kindes wahrzunehmen, weil das bewegend sei, und wohl auch, um mit den Emotionen, die dieser Moment hervorrufen kann, gegen die vorherige Andeutung einer Abtreibung zu taktieren. Das Mädchen fühlt sich manipuliert, reagiert mürrisch: »Sind Sie Autohändlerin?« Sie weint, aber schon in der nächsten Szene tanzt sie aufgekratzt zu lauter Musik vor einem Mann, will verführen – und wird abgewiesen.
Was die Geschwister Léa – sie ist die Schwangere – und Mathieu mit dem Fremden zusammengebracht hat, der die junge Frau auf einer Wiese abserviert, wird nicht erklärt. Sam hat die beiden mit seiner rostbraunen Kutsche, einem Ford Mustang, irgendwo aufgelesen. Oder sie ihn. Er duldet ihre Gesellschaft. Fragen weicht er aus, Avancen weist er schroff ab. Die Geschwister sind von ihm fasziniert. Lea will ihn, aber auch Mathieu ist in ihn verknallt. Sie beobachten Sam durch Mathieus Kamera, fordern ihn mit Frotzeleien heraus. Auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters sammelt Léa einen weiteren Tramper auf: Jérémie komplettiert das ungleiche Gespann auf der Fahrt in den Süden.
Der Regisseur Sébastien Lifshitz, der »Plein Sud« in der Sektion Panorama auf der diesjährigen Berlinale präsentierte, wo er 2004 den Teddy Award für seinen zweiten Spielfilm »Wild Side« gewonnen hatte, mischt in freier Assoziation Elemente des klassischen amerikanischen Westerns mit dem französischen Autorenfilm. Er dreht in Cinemascope, wählt für die flirrende Hitze des Sommers satte Farben; die Handkamera, durch die Mathieu seine Umgebung taxiert, bringt Nähe, Unruhe und Erregung in die konzentrierten Einstellungen. Statt auf erklärende Dialoge setzt Lifshitz auf die ästhetische Inszenierung sinnlicher Körper, die im Wageninneren und außerhalb in stets wechselndem Begehren umeinander kreisen.
Ihr Epizentrum ist Sam, den der 35-jährige Yannick Renier in stoischer Präsenz verkörpert. Er soll mit seiner ruhelosen Suche nach Vergeltung, seiner innerlichen Verhärtung an Clint Eastwood erinnern, den Prototypen des einsamen Leitwolfs im amerikanischen Kino. Wenn der Regisseur mit Rückblenden in Sams Kindheit die Tür zu einem weiteren hermetischen Raum öffnet, überfrachtet er in seiner Lust am Genre die Symbolik des Vehikels: Als Achtjähriger war Sam Zeuge eines schrecklichen Ereignisses, das in einem Auto passierte. Es zerstörte seine Familie; Sam wuchs bei Adoptiveltern auf. Einer der zärtlichsten Momente hingegen, der die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet, spielt sich in der Mitte des Films am Strand ab. Ein kleiner Junge setzt sich neben den unglücklich verliebten Mathieu in den Sand, schaut mit ihm auf die Wellen und übermittelt eine Botschaft von Sam: »Er sagt, entscheide dich und geh rein. Das Meer ist doch schön.«
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