Ausstellung: »Neue Stimmen. Deutsches Kino seit 2000«

Ganz sicher nicht gestrig

Die Ausstellung »Neue Stimmen. Deutsches Kino seit 2000« im Frankfurter Filmmuseum beginnt mit geballter Quantität. Auf einem Screen im Foyer läuft ein Abspann mit den Titeln der rund 3000 deutschen Filme, die zwischen 2000 und 2023 in den Kinos gestartet sind. Den Kritikern des deutschen Kinos, von denen es bekanntermaßen nicht wenige gibt, dürfte dieser Einstieg als Bestätigung dienen, denn dass zu viele deutsche Filme entstehen, darunter zu viel fernsehtaugliches Mittelmaß, das hört man des Öfteren. 

Dass die Ausstellung eine solche kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Film und seinen Produktionsumständen nur am Rande sucht, kann man einerseits als Schwäche betrachten. Denn es wird doch mit Blick auf die angedachte Reform des Filmförderungsgesetzes so viel gestritten: über Produktions- und Finanzierungsmodelle, über die schlechten Chancen für den Nachwuchs nach der Filmhochschule. Und für ein radikales, künstlerisches Kino, das sich schwer in einem für den Pitch so zentralen, redaktionskonformen Exposé vermitteln lässt und deshalb bei Finanzierungsfragen oft den Kürzeren zieht. In der Ausstellung werden derlei Debatten und Fragen zu Themen wie Ökologie, Diversität oder zum generelleren Zustand des deutschen Kinos an einer Wand mit weiß auf schwarz gedruckten Aussagen und Fragen von Filmschaffenden mehr angerissen als diskutiert. 

Andererseits ist es ihre Stärke, dass die von der freien Kuratorin, Schauspielerin und Filmpromovendin Antonia Jungwirth gemeinsam mit Eva Hielscher, Sammlungsleiterin des Non-Film-Archivs am DFF, kuratierte Schau sich eben nicht von dem Streitorchester erschlagen lässt und den Kritikern selbstbewusst Paroli bietet. »Neue Stimmen« feiert das gegenwärtige deutsche Kino vielstimmig und zeigt mit anschaulichen Exponaten, dass es nach dem Neuen Deutschen Film der 60er- und 70er-Jahre, nach Kluge, Wenders, Herzog, Fassbinder nicht stehen geblieben ist. 

Der erste der fünf thematischen Ausstellungsbereiche widmet sich Mainstreamfilmen, die an den Kinokassen große Erfolge verzeichneten – ein nachvollziehbar inklusiver Auftakt, um möglichst viele Menschen abzuholen. Das erste Exponat gleich hinter dem Eingang, vor einem Schaubild mit Entwicklungen der Zuschauerzahlen, Kinopreise und dem prozentualen Anteil der deutschen Filme in den letzten Jahren: ein Fußballschuh aus Sönke Wortmanns historischem Sportfilm »Das Wunder von Bern« (2003). Im Glaskasten neben dem Schuh mit den noch lehmigen Stollen sitzt der verdattert dreinblickende »Keinohrhase« aus Til Schweigers Film von 2007. Der Film war, so liest man neben dem Tierchen, laut einer Studie der FFA von 2009 für 52,6 Prozent der Befragten der »typische deutsche Film«. 

Viele der ausgestellten Drehbücher, Skizzenblöcke, Fotos oder Kostüme sind Leihgaben von Filmschaffenden. Ein Exponat im zweiten Raum, der sich auf das nischigere, künstlerische, auch genrefilmaffizierte Kino fokussiert, fällt gleich ins Auge: der Nachtmahr aus Achim Bornhaks gleichnamigem, ohne Filmförderung entstandenem Horrorfilm von 2015. Eine pummelige Gollum­variante mit Blumenkohlohren steht so buckelig wie erhaben in dem Kasten. Auch deutsche Festivals als zentrale Plattformen für das junge und künstlerische Kino werden hier vorgestellt, samt kurzem Selbstbildnis. Es gebe »Bratwurst statt rotem Teppich« und einen »maximalen Fokus auf das Kino«, schreiben die Internationalen Hofer Filmtage.

Der Fokus auf kleinere und künstlerische Produktionen wird im Raum über Filmhochschulen, Filmförderung und den Filmnachwuchs weiterverfolgt. Vorgestellt wird etwa der »German Mumblecore«, jenes anarchische Low-Budget-Improvisationskino, mit dem Regisseure wie Axel Ranisch und Tom Lass ab 2009 für frischen Wind sorgten. Um den neuen Stimmen auch buchstäblich Raum zu geben, kommen im Herzen der Ausstellung 18 junge Filmschaffende aus unterschiedlichen Gewerken in Interviews zu Wort.

Mit Filmen wie Nora Fingscheidts »Systemsprenger« (2019) oder Faraz Shariats »Futur Drei« (2020) wird der Bogen zur Filmkritik und zu Erfolgsgeschichten geschlagen. Ausgewählte Kritiken sind in Büchern zu lesen, in Vitrinen glänzen Filmpreise, etwa der Teddy Award, den »Futur Drei« auf der Berlinale als bester Spielfilm mit LGBTIQ-Thematik erhielt. Noch bekanntere Statuen warten im Raum zur internationalen Sichtbarkeit des deutschen Kinos nebeneinander: zwei der vier Oscars, die Edward Berger für sein Kriegsdrama »Im Westen nichts Neues« (2022) erhielt. Hier geht es um Exportschlager, um die Berliner Schule oder um Maren Ades Komödienhit »Toni Erdmann« (2016) mit Sandra Hüller. 

Mit einer sinnigen Struktur macht »Neue Stimmen« ein breites, gut recherchiertes und mit Zahlen und Filmausschnitten hinter­legtes Panoptikum des hiesigen Filmschaffens auf. Dass nicht alle mit der Auswahl bzw. dem, was nicht vorkommt, zufrieden sein werden, liegt in der Natur der Sache. Klar ließe sich monieren, dass etwa die Berliner Schule ziemlich kurz abgefrühstückt wird – was bei dem großen Zeitraum von zweieinhalb Jahrzehnten, den die Ausstellung umspannt, natürlich Teil des Konzepts sein muss. 

Die Schau will eben nicht nur eine Tiefenbohrung für cinephile Deutschkino-Nerds veranstalten, sondern auch dem großen Publikum einen fundierten Überblick bieten. Und das gelingt, ergänzt um eine umfangreiche begleitende Filmreihe, durch die sich das gesamte Bild erst zusammenfügt. »Neue Stimmen« zeigt, dass das deutsche Kino mainstreamig, künstlerisch-anarchisch, klein und groß, leise und laut ist, aber ganz sicher nicht langweilig oder gestrig.

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