Stand das im Drehbuch? – Improvisation im Kino
Sie kann dem Realismus dienen, aber auch ins Absurde führen. Die Improvisation hat im Spielfilm eine lange Tradition und liegt bei uns gerade voll im Trend – sei es in den tragikomischen Geschichten des German Mumblecore oder in Sebastian Schippers Thriller »Victoria«, der jetzt in die Kinos kommt
Howard Hawks und Frank Capra haben es getan. François Truffaut hat es getan, Jean-Luc Godard tut es noch immer, ebenso Werner Herzog oder die Komödien-Clique um Seth Rogen, Jonah Hill und Regisseur Judd Apatow. Auch das freiere Flottieren der Bilder von Terrence Malick ist nicht zuletzt ausgiebiger Improvisation zu verdanken. Von den Marx Brothers heißt es, in ihren Drehbüchern habe an vielen Stellen nur gestanden: "Harpo does something funny"; einer ihrer Regisseure soll sich beim Dreh in einen schalldichten Glaskasten verzogen haben – seine Lachanfälle hätten sonst die Tonaufnahme verdorben. Sogar Stanley Kubrick, der Inbegriff der Perfektion, gab seinen Schauspielern Raum für spontane Einfälle. So kamen »Singing in the Rain« in den Film »Uhrwerk Orange« und »Mein Führer, ich kann wieder gehen« in »Dr. Seltsam«. Improvisation fand immer und fast überall statt – außer natürlich bei Alfred Hitchcock, in dessen Kopf jeder Film schon vor den lästigen Dreharbeiten fertig war.
Wenn Improvisation im Spielfilm als Methode eingesetzt wird, dann meist als »Mittel der Unmittelbarkeit«, wie Adorno sagt, um das »wahre Leben«, authentische Charaktere und natürliche Sprache einzufangen – oder offen für die Gunst des Augenblicks zu bleiben. Formen und Ausprägungen sind aber höchst unterschiedlich. Dass die Filmgeschichtsschreibung die Improvisation bislang kaum untersucht hat, mag damit zusammenhängen, dass hinter all den Anekdoten und Legenden um das spontane Spiel filmischer Kräfte viele Unklarheiten lauern. Sieht man mal vom nicht ganz freiwilligen Improvisieren als Pannenhelfer bei Wetterumschwüngen, technischen Problemen oder dem Wegbrechen des Budgets ab – letzteres hat etwa Aron Lehmann zum Ausgangspunkt seines wunderbaren Films »Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel« gemacht –, reicht Improvisation vom »Extemporieren«, kurzen, spontanen Texteinwürfen, über das Ausfüllen gerüstartig angelegter Szenen bis hin zum eher seltenen kompletten Fehlen eines Drehbuchs – der Film entsteht dann wirklich on location, inspiriert vom Drehort und der Dynamik der Situation, mit entsprechend hohen Anforderungen an die Flexibilität aller Beteiligten.
Ohne Proben geht es nicht
»Improvisation – das ist, wenn niemand die Vorbereitung merkt«, sagte Truffaut – und viele Regisseure lassen ausschließlich vor den Dreharbeiten improvisieren. Robert Altman etwa, dessen Werke auch durch ihre mit Überlagerungen spielenden Tonspuren oft eine Aura spontaner Interaktion haben, ließ seine Schauspieler zwar die Figuren mitentwickeln und an ihren Dialogen arbeiten, doch wenn die Kamera lief, war fast alles festgelegt. Ähnlich verhält es sich bei Mike Leigh, der in ausgefeilten Schritten, meist nur von bestimmten Prämissen ausgehend, mit seinen Schauspielern die Charaktere, ihre sozialen Hintergründe und die Handlung erst durch Improvisationen findet. Aus monatelangen Proben entsteht so das Drehbuch – das dann »traditionell« umgesetzt wird. Wenn also beispielsweise David Thewlis als Gossenphilosoph in »Naked« seine verächtlich-verzweifelten Tiraden über die Mitmenschen ausschüttet, dann wirken sie wie spontane Eruptionen und sind doch weitestgehend gescriptet.
Sebastian Schippers aktueller Film »Victoria« ist in seiner speziellen Kombination von Strenge und Offenheit ein außergewöhnlicher Fall, ein Experiment mit dem Charakter einer Mutprobe. Da passt die Methode zur Handlung, denn auch die erzählt von Plänen, Spontaneität und der Unberechenbarkeit des Lebens. Auf seinem Trip durch eine Berliner Nacht, zweieinhalb Stunden in Echtzeit und ganz ohne Schnitt, mit zahlreichen Schauplätzen, Figuren und sogar mit turbulenten Actionszenen, wollte Schipper »der blanken Angst ins Auge sehen«. Straßenampeln, die im falschen Moment auf Rot schalteten, waren da nur eine von vielen Unwägbarkeiten. Das Drehbuch umfasste gerade mal 12 Seiten, die Schauspieler improvisierten ihre Dialoge beim Dreh, selbstverständlich auf der Basis intensiver Proben. Der dritte Take wurde der Film – und seine Sogwirkung verdankt er nicht zuletzt dem Bewusstsein des Betrachters, in welch genau abgestecktem und doch prekären Rahmen hier Laia Costa, Frederick Lau und die anderen Schauspieler mit Charme und Leichtigkeit zaubern. Nicht zu vergessen: die Konzentration und physische Leistung des Kameramanns Sturla Brandth Grøvlen, der in jeder Sekunde auf ihre Aktionen reagieren musste.
Intime Beziehung zwischen Theater und Film
Das Unvorhergesehene – lateinisch »improvisus« – als kreative Herausforderung etablierte schon die griechische Antike als »Skolion«, Stegreifdichtung, die im Mittelalter in höfischer Dichtung und der Spielmannsepik fortlebte, sowie im römischen »Mimus«-Theater, in dem vor allem über Sex-and-Crime-Stoffe improvisiert wurde. Auch zur Zeit Shakespeares war die Bühnen-Improvisation beliebt; in Italien wurde sie ab dem 16. Jahrhundert in der Commedia dell'Arte populär, allerdings innerhalb eines festen Rahmens aus Handlungsgerüsten und Charakteren. Die Frechheiten freier Rede gereichten strengen Kunstwächtern wie auch der Politik nicht immer zur Freude: So verbot Kaiserin Maria Theresia 1752 als Zensurmaßnahme jede Stegreifdichtung. Zur modernen Blüte kam das Improvisationstheater ab den 40er und 50er Jahren, in zahlreichen Formen, Techniken und Theorien. Bis heute beliebt ist etwa der »Theatersport«, in dem Schauspielerteams gegeneinander antreten und der 2006 parallel zur Fußball-WM in Deutschland sogar eine erste Weltmeisterschaft erlebte.
In der Improvisation sind die Beziehungen zwischen Theater und Film aus naheliegenden Gründen besonders intim. Viele Schauspieler und Regisseure, die beim Film mit Improvisation arbeiten, haben Bühnenerfahrung, etwa John Cassavetes, dessen erster Film »Shadows« aus einem Workshop für arbeitslose Schauspieler hervorging. Zwischen 1957 und 1959 in Gruppenarbeit entstanden und aus 50 Stunden Material montiert, erzählt der Film in scheinbarer Beiläufigkeit und mit Jazz-Soundtrack von jungen Schwarzen und ihren Freunden in New York, von Alltags- und Liebesnöten und dem gewöhnlichen Rassismus, dem sie ausgesetzt sind. »Echtes Leben und echte Menschen« wollte Cassavetes zeigen. Der Abspann verkündet stolz: »The film you have just seen was an improvisation« – das war ein Fanal. »Shadows« wurde zum Vorbild für viele europäische wie amerikanische Filmemacher.
Während im Avantgarde- und Experimentalfilm schon immer improvisiert wurde, sei es vor der Kamera oder direkt am Filmmaterial mit Chemikalien und Belichtungszeiten, wurde es vor »Shadows« zwar gelegentlich auch im Spielfilm praktiziert, doch selten so programmatisch. In frühen Slapstick-Filmen entstanden Gags oder Szenen aus Improvisationen; der "neusachliche" Film »Menschen am Sonntag« wurde mit Laienschauspielern auf Berliner Straßen und am Wannsee gedreht und zwischen den Aufnahmen am Kaffeehaustisch geschrieben. Auch im italienischen Neorealismus – etwa in Roberto Rossellinis »Rom, offene Stadt« (1945) – ließen die Regisseure häufig Laien sich selbst spielen, um Alltagsnähe zu erreichen. Doch erst mit den Erneuerungsbewegungen des Kinos der ausgehenden 50er und 60er Jahre nahm Improvisation einen breiteren Raum ein, bei den Rebellen der Nouvelle Vague und im New Hollywood. »Außer Atem« entstand 1959 in Guerilla-Taktik ohne Drehgenehmigung auf Pariser Straßen; ein Drehtag konnte 15 Minuten oder 12 Stunden dauern – das Team folgte dem Fluss von Godards Ideen. Zehn Jahre später war »Easy Rider« dem psychedelischen Zeitgeist auf der Spur, indem er in fragmentierten Szenen spontane Improvisationen festhielt, gerne auch auf LSD gespielt.
Für all diese Entwicklungen spielte die Befreiung vom technischen Ballast früherer Jahrzehnte eine zentrale Rolle: Innovationen wie die Handkamera und tragbare Tongeräte, die Möglichkeiten der Nachsynchronisation, später die Entwicklung von Digitalkameras und günstigen Schnittprogrammen. Längst sind zeitlich quasi unbegrenzte Improvisationen auch bei geringstem Budget möglich. Davon profitierten etwa die Dogma-Filme, in denen häufig improvisiert wurde, in Ausschweifungen roher, verrückter Energie besonders gut in Lars von Triers digital gedrehtem »Idioten« zu beobachten. Doch auch von Trier weiß wie alle guten Regisseure: »Improvisation ohne Plan ist wie Tennisspielen ohne Tennisball.«
Die Herstellung von Natürlichkeit
Um sich nicht in Beliebigkeit zu verlieren, bedarf die Improvisation einer klaren Haltung – besonders, wenn sie Alltags- und Lebensnähe erzeugen soll. Das Künstliche kann nur durch künstlerische Gestaltung überwunden werden, denn eine ursprüngliche Unbefangenheit ist dem Schauspieler, der ja weiß, dass er spielt, nicht möglich. Er muss die Natürlichkeit durch die Aneignung einer Figur erst erarbeiten.
Für die Ambitioniertesten ist es wohl wie bei Kleists »Marionettentheater«: »So findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein.« Das bedeutet genaue Vorbereitung, intensive Teamarbeit und ein Vertrauensverhältnis der Mitwirkenden. Und nach dem Dreh: gehörige Disziplin bei der Montage. Wenn es gilt, im Schneideraum aus einer großen Menge gedrehten Materials, inklusive Hänger und Abschweifungen, die Dramaturgie zu bergen, Stringenz und Rhythmus herauszuarbeiten, ist Können wie Geduld gefragt. Denn selbst wer von der Langsamkeit oder auch Banalität des Lebens erzählt, möchte kaum mit einem banalen Film langweilen.
Zugleich ist Improvisation ein Handwerk der Freiheit und ermöglicht das Abenteuer des kalkulierten Kontrollverlusts. Wie im Jazz die Musiker von festen Mustern ausgehend in freien Improvisationen ein Stück im Zusammenspiel erst entstehen lassen, so werden Schauspieler vor der Kamera zu Co-Autoren des Films. Und obwohl der Kinogänger nicht live dabei ist, vermittelt mancher fertige Film noch den performativen Charakter seiner Entstehung, was eine besondere Spannung erzeugen kann.
Augenfällig wird das an Extravaganzen wie »Victoria«. Oder bei Jonathan Glazers »Under the Skin« (2013): Da ermöglichten in einigen Szenen Minikameras, die leicht zu verstecken sind und doch hochauflösende Kinobilder liefern, eine unkonventionelle Methode, mit Laien zu improvisieren. Als Scarlett Johansson aus einem Van heraus Passanten in Gespräche verwickelte, wussten diese zunächst nicht, dass sie in einem Film mitspielen – um Erlaubnis wurden sie erst hinterher gefragt. Für »Der Fluss war einst ein Mensch« (2012) reiste Jan Zabeil mit dem Hauptdarsteller Alexander Fehling und einem Miniteam nach Afrika, wo sie ohne Skript einen Überlebenskampf in der Savanne drehten – als eigene, unmittelbare Auseinandersetzung mit der Wildnis: »Es wurde Teil des Konzeptes, verloren zu gehen, während wir die Geschichte von einem erzählen, der verloren geht.«
Seltener entstehen Genrefilme in freier Improvisation, am erfolgreichsten wohl »Blair Witch Project« (1999): Die Filmstudenten Eduardo Sánchez und Daniel Myrick setzten ihre Schauspieler mit Digitalkameras in den Wäldern Marylands aus und konfrontierten sie mit Hexenspuk, während sie ihre Essensrationen von Tag zu Tag reduzierten. Auch das kann eine Impro-Methode sein: Die Schauspieler im Unwissen über den Fortgang der Ereignisse halten und sie so manipulieren, wie es das geheime Konzept verlangt – ein bisschen Gott spielen.
Das wildeste Extrembeispiel dürfte freilich die Großproduktion »Apocalypse Now« sein. Das aberwitzige Chaos beim Dreh – verheerende Stürme, Schauspieler im Drogenrausch, Martin Sheens Herzinfarkt und Marlon Brandos Launen – forderte ständige Planänderungen, zudem skizzierte Coppola oft erst in der Nacht die Szenen für den nächsten Drehtag. Die mythisch-delirierende Dichte des Werks dürfte auch diesen Faktoren zuzuschreiben sein, für die Beteiligten war es freilich ein Alptraum. Laut Autor John Milius sah die ursprüngliche Vision für das Projekt freilich noch radikaler aus: ein Impro-Dreh in Vietnam, mitten im noch tobenden Krieg.
Trotz »Apocalypse Now« darf als Faustregel gelten: Das Budget und der Anteil der Improvisation verhalten sich umgekehrt proportional. Je mehr Geld im Spiel ist, je größer der technische Apparat und das Team, desto weniger Raum für Spontaneität. Kino als technische Kunst verlangt immer Festlegungen, die Frage ist jeweils, wie weit im Vorfeld und wie detailliert geplant wird. So ist Improvisation am wenigsten mit dem Blockbuster-Universum und dessen dramaturgisch wie visuell durchkalkulierten Effektorgien zu vereinbaren. Doch bereits für die Finanzierung kleiner Filme stellt jeder Impro-Ansatz eine Bürde dar, wenn etwa Produzenten oder Förderer ein Script von nur ein paar Seiten in die Hand bekommen.
Brüche als selbstironisches Stilmittel
»Das Prinzip von Improvisation ist, aus den beschränkten Ressourcen das Beste zu machen. Wenn ich nur Thunfisch, Sahne und Spaghetti habe, was kann ich daraus kochen?« sagt Stefan Hillebrand, der Anfang der 2000er gemeinsam mit Oliver Paulus den charmanten, vollständig improvisierten Film »Wenn der Richtige kommt« über die unerwiderte Liebe einer Mannheimer Putzfrau drehte. Er kann als einer der Vorläufer für den »German Mumblecore« gelten, eine neue Welle von Werken junger Filmemacher wie Axel Ranisch, Jakob Lass und Tom Lass, Nico Sommer, Hanna Doose und Aron Lehmann. Im German Mumblecore ist Improvisation das zentrale Stilmittel, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen.
Der Name Mumblecore verweist zwar aufs amerikanische Indie-Kino, doch stehen die günstig produzierten, alltagsnah zwischen Tragik und Komik balancierenden Werke durchaus in einer deutschen Impro-Tradition, sei es die »Kölner Gruppe« um Rainer Knepperges, seien es Christoph Schlingensief oder Klaus Lemke, der mit »Rocker« 1972 einen Kultfilm schuf und bis heute dem »musealen Staatskino« und seiner »verhurten Dramaturgie« (Lemke) sein Kino der Freiheit und Vitalität entgegensetzt. Mit auf der Straße gecasteten Laien und Geschichten über Rumtreiber und Liebeszoff, zuletzt etwa in »Berlin für Helden«. Und dann ist da natürlich Andreas Dresen, der immer wieder der Absurdität und manchmal auch Tragik des Alltags bei der Arbeit zuschaut. Bei seinem Imbissbesitzer-Drama »Halbe Treppe« (2002) verzichtete er zum ersten Mal ganz auf ein Drehbuch. Folgerichtig stehen im Abspann als Autoren seine Hauptdarsteller Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide, Axel Prahl und Thorsten Merten, die ihre Rollen so glaubwürdig gestaltet haben, dass der Film wirkt, als sei die Kamera bei Leuten von nebenan zu Besuch.
Viele Mumblecorer beweisen ein ähnliches Ohr für leise Töne, und auch sie feiern inzwischen nicht nur Festival- und Achtungserfolge, sondern können das große Publikum begeistern. Jan Georg Schüttes »Altersglühen – Speed Dating für Senioren« etwa ließ Stars wie Mario Adorf, Senta Berger oder Michael Gwisdek ohne Drehbuch und ohne Szenenwiederholungen Flirtanbahnungen spielen und erreichte mit diesem ebenso witzigen wie anrührenden Experiment in der ARD fünf Millionen Zuschauer.
Ausbruch ins Absurde
Bisweilen scheint im Mumblecore aber auch eine Radikalität auf, in der Brüche und Leerstellen Stilmittel sind; Selbstreflexion und -ironie schwingen fast immer mit. Die Gemachtheit der Filme gilt es nicht unbedingt zu verschleiern, sie wird Teil des kreativen Spiels, und das Spontane am Produktionsprozess wird transparent. Zugleich beginnen die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm zu verschwimmen, wenn etwa Isabell Suba in »Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste« den realen Filmfestivaltrubel von Cannes als Spielwiese für die Kollision »echter« und »gespielter« Szenen nutzt. Für den Dreh des skurrilen, wilden Liebesfilms »Love Steaks« ging Jakob Lass mit seinem Team in Klausur: mitten in einem laufenden Hotelbetrieb an der Ostsee.
Wie künstlerische Parallelwelten mit eigenen Gesetzen wirken die Filme Axel Ranischs, entwickelt im Kreise einer vertrauensvoll improvisierenden Filmfamilie, besonders »Reuber«, der gerade erst im Kino lief, ein Kinder-Märchenwald-Film mit seinem Neffen Tadeus Ranisch und seiner Oma Ruth Bickelhaupt als »sehr gute Fee«. Auch dabei: Heiko Pinkowski und Peter Trabner, die man bereits als die Schauspielstars des German Mumblecore bezeichnen kann – beide begnadete Improvisatoren. Wenn es dann dramaturgisch mal holpert, nimmt man das gerne in Kauf für Momente purer Poesie und die tiefe Menschenliebe, die Ranischs Filme ausstrahlen. Ihre unbändige Lust am Fabulieren ist atmosphärisch wie stilistisch weit entfernt vom genrenahen, zielorientierten Realismus von »Victoria« – und doch werden beide Welten getragen von der Lebendigkeit der Improvisation.
Wie es aussehen kann, wenn einer jegliche Beschränkungen der Dramaturgie und Logik hinter sich lässt, das zeigt seit Jahrzehnten Helge Schneider. Ebenso virtuoser Jazzmusiker wie anarchischer Komiker, bringt er beide Improvisationskünste in seinen Filmen zusammen, am schönsten vielleicht in »Jazzclub«. Rhythmus, Artikulation und Phrasierung von Klavierspiel und gesprochener Sprache spiegeln sich da und erzählen von einer Freiheit, die die triste Wirklichkeit seines Protagonisten, des Fischverkäufers Teddy Schu, transzendiert. Im Doku-Porträt »Mülheim – Texas« fragt die Filmemacherin Andrea Roggon den Künstler: »Die Freiheit ist etwas, das man nicht per se hat?« – Schneider knapp: »Nee, die muss man sich nehmen«. Und er steht auf und geht aus dem Bild.
Die besten Sätze entstehen spontan
The Jazz Singer (1927) Im ersten großen Tonfilm kündigt Al Jolson eine Musiknummer mit den denkwürdigen Worten an: »Wait a minute, wait a minute. You ain't heard nothin' yet!« (Clip)
Casablanca (1942) Der wohl berühmteste Satz der Filmgeschichte stammt nicht vom Drehbuchautor, sondern von Bogart. Er soll die Worte immer wieder zu Ingrid Bergman gesagt haben soll, als er ihr das Pokern beibrachte: »Here's looking at you, kid«. (Clip)
Der dritte Mann (1949) Am Ende der Riesenradszene bricht Orson Welles aus Graham Greenes Drehbuch aus und setzt die grandiose Pointe: »In Italy for 30 years under the Borgias they had warfare, terror, murder and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci, and the Renaissance. In Switzerland they had brotherly love – they had 500 years of democracy and peace, and what did that produce? The cuckoo clock.« (Clip)
Denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) James Dean bat beim Dreh spontan darum, etwas ausprobieren zu dürfen – und widmete sich als besoffen am Boden liegender Antiheld einem Spielzeugäffchen. Die berühmte Vorspannsequenz war geboren. (Clip)
Der weiße Hai (1975) Roy Scheider sieht zum ersten Mal den Hai und erstarrt: »You're gonna need a bigger boat…« (Clip)
Taxi Driver (1976) Martin Scorsese lässt seinen Schauspielern gerne Freiraum. Robert De Niro nutzte ihn in der Spiegelszene für eine geniale Studie der Isolation: »You talkin' to me?« (Clip)
Shining (1980) Jack Nicholson schlägt mit einer Axt eine Tür ein und macht ein Zitat aus der Johnny-Carson-Show zum grausigen Welthit: »Here's Johnny!« (Clip)
Das Imperium schlägt zurück (1980) Prinzessin Leia gesteht Han Solo ihre Liebe: »I love you.« Im Skript steht die Antwort: »I love you too«, doch Harrison Ford entgegnet nur lakonisch: »I know.« George Lucas soll sich sehr geärgert haben. (Clip)
Blade Runner (1987) Rutger Hauers elegischer Replikanten-Monolog stand im Drehbuch, nicht aber das ikonische: »All these moments will be lost like tears in the rain.« (Clip)
Good Will Hunting (1997) Freie Fahrt für Therapeut Robin Williams: »My wife used to fart in her sleep. Sorry I shared that with you. One night it was so loud it woke the dog up.« Matt Damons Lachen ist nicht gespielt. (Clip)
Jungfrau (40), männlich, sucht… (2005) Der »You know how I know you're gay?«-Dialog: komplett improvisiert von Paul Rudd und Seth Rogen. (Clip)
The Dark Knight (2008) Als gedreht wurde, wie der Joker das Krankenhaus in die Luft sprengt, versagte zunächst ein Teil der Pyrotechnik im Hintergrund. Heath Ledger reagierte spontan, blickte sich um, zuckte mit den Achseln und drückte hektisch auf dem Zünder herum. Dann krachte es doch noch gewaltig – und die Einstellung kam so in den Film. (Clip)
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