Kritik zu Der Fluss war einst ein Mensch
Ein junger Deutscher, Schauspieler von Beruf, verliert sich irgendwo in Afrika: Jan Zabeils Spielfilmdebüt mit Alexander Fehling als Hauptdarsteller dreht die Vorstellung von der Fremde um
Wer die Faszination der Europäer für Afrika verstehen will, braucht nur in Joseph Conrads Kolonialklassiker »Herz der Finsternis « nachzulesen. »Wir waren Wanderer auf einer vorgeschichtlichen Erde, auf einer Erde, die das Aussehen eines unbekannten Planeten hatte. [. . .] Wir konnten nichts verstehen, weil wir zu weit weg waren, und konnten uns nicht erinnern, weil wir durch die Nacht der ersten Zeitalter dahinfuhren, der Zeitalter, die dahingegangen sind, kaum ein Merkmal hinterlassen haben – und keine Erinnerung.« Hundert Jahre sind seither vergangen, doch wenig hat sich geändert. Die Sehnsucht nach Afrika beschreibt ein Befremden gegenüber der Moderne, der Kontinent dient als Projektionsfläche: das Versprechen von Ursprünglichkeit und Grenzerfahrung.
Jan Zabeils Film Der Fluss war einst ein Mensch nimmt den umgekehrten Weg. Hier wird der weiße Europäer, der in die afrikanische Wildnis aufbricht, zur Projektionsfläche. Die Afrikabilder, die der Film aufwirft, sind dagegen weitgehend bekannt und darüber hinaus selbst schon zu Klischees geworden. Der Befund der Geschichtslosigkeit, den Conrad dem Kontinent implizit attestierte (keine Erinnerung), fällt zurück auf den hilflosen Reisenden. Sein überlegenes Wissen erweist sich angesichts der existenziellen Herausforderung als nutzlos.
Zabeils Film hinterlässt zunächst einen ähnlichen Eindruck wie das naive Draufgängertum eines Werner Herzog. Der Fluss war einst ein Mensch ist als Selbsterfahrungstrip angelegt, Zabeil hat einen Teil seiner Kindheit in Afrika vebracht. Diesem Gefühl wollte er mit seinem Film nachspüren – das ganze Repertoire an kolonialen Vorurteilen im Hinterkopf. Mit einem kleinen Drehteam und ohne Skript reiste er nach Botswana, die Geschichte sollte erst vor Ort, im Prozess des Suchens, entstehen. Zabeil spürt nach etwas Verlorenem und begibt sich dabei freiwillig in den Modus des Sichverlierens.
Der junge Mann, der an den Ufern des Okavango mit seinem Gepäck ankommt, ist so etwas wie die Leerstelle des Films. In Deutschland arbeitet er als Schauspieler – doch über den Grund seiner Reise, sein Ziel oder seine Herkunft wird der Zuschauer im Weiteren nicht viel mehr erfahren. Ein alter Fischer nimmt ihn in seinem Einbaumboot mit ins Flussdelta, einer unwegsamen Sumpflandschaft, durchzogen von Hunderten kleiner Inseln. Eine einzige Totale, hoch aus der Luft gefilmt, bietet Zabeil am Anfang – den Rest des Films befindet sich der Zuschauer auf Augenhöhe mit dem Protagonisten. Als sein Führer eines Nachts stirbt, ist der Reisende plötzlich auf sich allein gestellt.
Die Begegnung mit den Einheimischen und die Erfahrung der Landschaft strukturieren die Handlung von Der Fluss war einst ein Mensch lose. Eine Geschichte im klassischen Sinne gibt es nicht, das Sichverlieren ist das eigentliche Thema Zabeils. Ähnlich wie Gus Van Sants Gerry durchzieht ein zunehmend lapidarer Tonfall seinen Film. Die Verzauberung durch die Natur, die in den ersten Einstellungen noch an Malick erinnert, schlägt um in stumme Ohnmacht. Orientierungslos irrt der Mann durch die Sümpfe, stolpert durchs Wasser, tastet sich im Schein der Taschenlampe durch die Nacht. Die Natur wird zu Herzogs elementarer Bestie, doch wo dieser seine Bilder mit raunenden Kommentaren unterlegt, fällt Der Fluss war einst ein Mensch in einen tranceartigen Zustand. Die existenzielle Grenzerfahrung macht einer erschöpften Kontemplation über das Verlorensein in der Fremde Platz.
Besitzt das Herumirren in den Sümpfen noch eine fast dokumentarische Qualität, dienen die Kontakte mit den Einheimischen als vage erzählerische Strukturhilfen. Hier wird das Scheitern des weißen Protagonisten an dem fremden Land vollends offenkundig. Um die Seele des toten Führers zu erlösen, müssen der Mann und sein Begleiter noch einmal in die Sümpfe zurückkehren. Ein magisches Ritual, das die ganze Distanz zwischen dem Protagonisten und dem Kontinent kennzeichnet. Die animistische Magie wird nie so greifbar wie in den Filmen Apichatpong Weerasethakuls, doch indem Der Fluss war einst ein Mensch seine Hauptfigur auf ihrem langen Marsch von den Klischeebildern wegführt, ermöglicht er auch einen entmystifizierten Blick auf Afrika.
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