Amazon: »Saltburn«
Mit »Promising Young Woman« gab die britische Schauspielerin Emerald Fennel vor vier Jahren ein mehr als bemerkenswertes Kinodebüt als Autorin und Regisseurin. Für das Drehbuch erhielt sie zu Recht einen Oscar. Wie knüpft man an einen künstlerisch dermaßen entschiedenen Einstand an? Fennel geht in die Offensive, indem sie in ihrem zweiten Film Saltburn alles noch ein gutes Stück weiter treibt: die visuelle Extravaganz, die Sonderbarkeit der Figuren, die dramaturgischen Zuspitzungen, die Finsternis.
Aber der Reihe nach (Hinweis: der Text enthält Spoiler). Im Mittelpunkt der in Großbritannien spielenden Geschichte steht ein junger Mann namens Oliver Quick (Barry Keoghan). Er kommt, so behauptet er zumindest, aus desolaten Familienverhältnissen und kann nur dank eines Stipendiums in Oxford studieren, eine Hochschule, die Fennel als höchst elitär inszeniert, bevölkert von versnobten Sprösslingen schwerreicher Familien, die einem »bedürftigen« Kommilitonen wie Oliver mit Arroganz und Missachtung begegnen. In wenigen, pointiert überzeichneten Szenen etabliert Fennel einen Ort, der zwar so atmosphärisch wie Hogwarts anmutet, aber von zynischem Klassendenken bestimmt wird.
Scheinbar durch Zufall gelingt es Oliver, die Freundschaft des umschwärmten Felix zu gewinnen, dessen Name Programm ist: Er sieht toll aus, ist superreich und extrem beliebt. Durch die Besetzung mit Jacob Elordi (als Soziopath aus »Euphoria« noch in bester Erinnerung) strahlt Felix aber auch etwas Lasziv-Düsteres aus, eine Mischung aus Melancholie, Potenz und Standesdünkel. Oliver wird sein Protegé, den er über die Sommerferien nach Saltburn einlädt, das absurd große Anwesen seiner Familie. Von Felix' dandyhaften Eltern wird der Hausgast mit einer jovialen Großzügigkeit behandelt, in der stets etwas Herablassendes mitschwingt.
Am besten ist »Saltburn«, wenn er die britische Upper Class und ihre Eigenarten mit giftigem Humor porträtiert. Hier spürt man, dass Fennel als Tochter eines berühmten britischen High-Society-Juweliers genau weiß, wovon sie erzählt. Allerdings fragt man sich bald, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Um es kurz zu machen: Oliver vollendet während des Sommers auf Saltburn eine diabolische Intrige, die ihn erst an Felix' Stelle treten und schließlich in den Besitz des Anwesens gelangen lässt. Wie ein »talentierter Mr. Ripley« dringt er in die Familie seines Freundes ein, doch anders als bei diesem wird nie klar, warum Oliver das alles tut. Sozialer Aufstieg ist offenbar kein Beweggrund, auch nach Rache sieht es nicht aus.
Fennell wirft diverse Köder aus, spielt virtuos mit Bezügen zu Luis Buñuel, Oscar Wilde und Charles Dickens, häuft Motive wie homoerotisches Verlangen und Außenseitertum an. Das ist alles sehr unterhaltsam anzusehen, und es gibt mehrere brillant choreografierte Szenen, etwa einen aus dem Ruder laufenden Karaoke-Abend. Nur gelingt es dem Film nicht, aus dem Reichtum an Referenzen und Ideen etwas zu entwickeln, das über Oberflächenreize hinausgeht – ein Problem, das »Saltburn« mit »The Menu« teilt, an den er auch in seiner Struktur und der stilisierten Klassensatire erinnert.
Alles bleibt vage, reizvolle Fährten wie Felix' moralische Ambivalenz versanden, spannende Figuren wie sein multiethnischer Cousin oder der sinistre Hausbutler verschwinden gänzlich ungenutzt. Stattdessen verfällt Fennel in eine Aneinanderreihung »provokativer« Szenen: Da schlürft Oliver heimlich das mit Sperma versetzte Badewasser von Felix aus dem Abfluss, hat Oralsex mit dessen menstruierender Schwester, nötigt den Cousin zum Analverkehr und vögelt ekstatisch ein frisch zugeschüttetes Grab. Immer ein bisschen abstruser, immer eine Nummer schockierender und dabei immer sehr symbolschwanger – Spezialeffekte für Intellektuelle. Doch am Ende scheinen Olivers Taten und sein aufwendiger (und lächerlich konstruierter) Plan allein der Befriedigung seines soziopathischen Egos zu dienen. Viel Lärm um nichts.
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