Netflix: »München – Im Angesicht des Krieges«

© Netflix

2021
Original-Titel: 
Munich: The Edge of War
Filmstart in Deutschland: 
06.01.2022
Heimkinostart: 
21.01.2022
L: 
129 Min
FSK: 
12
Der Frieden vor dem Krieg

Man weiß, dass die Sache nicht gut ausging. Das Stichwort »München« allein reicht heute noch, um eine diplomatische Verhandlung in Verruf zu bringen. Die Namen von Neville Chamberlain und Édouard Daladier, des britischen Premiers und seines französischen Counterparts, sind für viele synonym mit ihrer Unterschrift unter dem am 29.9.1938 getroffenen Abkommen, in dem Teile der Tschechoslowakei Hitlers Deutschland zugeschlagen wurden. Die Absicht dieser Appeasement-Politik war klar, man wollte Hitler beschwichtigen. Da kein ganzes Jahr später mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg ausbrach, ist die Auffassung, dass das Münchner Abkommen entgegen des von Chamberlain gefeierten Vorhabens »Peace for our time« gescheitert sei, eigentlich gut nachvollziehbar. Aber nicht, wenn man Robert Harris heißt.

Schon in seinem Roman »Vaterland«, der ihn vor 30 Jahren bekannt machte, erwies sich Harris als akribischer Faktenkenner, besonders was den Faschismus anging. »Vaterland« war ein »alternate history«-Roman, in dem Harris ein Deutschland unter Naziherrschaft schilderte, das den Zweiten Weltkrieg gewonnen hatte. In »München«, der 2017 erschien, ging es ihm dagegen um eine fiktive Version der realen Geschichte – mit eben jener Verschiebung der Deutung, dass »Peace for our time« kein Scheitern, sondern die beste unter lauter schlechten Handlungsoptionen war.

Als Roman entfaltet die fiktive Version eines doch gut bekannten Ereignisses eine überraschende Spannung. In seiner Filmadaption setzt Christian Schwochow dem sogar noch eins drauf: »München – im Angesicht des Krieges«, der Ende Januar bereits auf Netflix startete, ist ein Thriller, von dem man sich, einmal hineingezogen, kaum lösen kann. Und das, obwohl man weiß, wie es ausgeht, obwohl man weiß, was danach kam.

Die Erzähltechniken, die Harris anwendet, sind dabei nicht mal die originellsten: Harris erfindet ein Trio von Freunden, das 1932 in Oxford graduiert. Der Brite Hugh Legat (George MacKay, dessen Gesicht sich aus Sam Mendes' »1917« dem Gedächtnis eingebrannt hat) sitzt da mit seinen deutschen Freunden Paul (Jannis Niewöhner) und Lenya (Liv Lisa Fries) auf dem Rasen und witzelt über Hoffnungen und Zweifel, was ihre Zukunft so angeht. Lenya ist skeptisch, aber Paul spricht gern von Deutschlands wahrer Größe. Später besucht Hugh seine Freunde in München; es ist längst nicht mehr alles so gemütlich dort, wie sie es versprochen haben. Auch zwischen den beiden.

Dann werden im schnellen Schnitt ein paar Jahre übersprungen und Hugh findet sich aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse plötzlich auf dem Karriereweg nach oben wieder. Selbst sichtlich überwältigt, soll er dem Premierminister höchstpersönlich, dem von Jeremy Irons verkörperten Neville Chamberlain zuarbeiten. In Deutschland derweil hat es auch Paul in die Elite geschafft. Nur dass er von seinen Deutschland-Euphorien schon geheilt scheint. Als eine von ihm mitinitiierte Intrige, um Hitler abzusetzen, scheitert, versucht er Kontakt zu seinem alten Freund im Vereinigten Königreich aufzunehmen. In München will er ihm ein Dokument übergeben, das den Lauf der Geschichte ändern könnte.

Schwochow inszeniert das mit einer Atemlosigkeit und Dringlichkeit, die dem Ernst der Ereignisse absolut zuträglich ist. Wichtig sind weniger die fiktiven Fakten und deren Stimmigkeit – brauchte es überhaupt noch ein Dokument, um Hitlers Kriegslust zu beweisen? –, als die Atmosphäre, in der bedeutungsvolle Blicke auf der Straße und vorgetäuschte Zufälligkeiten im Wirtshaus sich zu einem Netz von Indizien verdichten. Wie sehr hier jede Figur eine eigene Perspektive hat und wie schwierig es gewesen sein muss, das Gesamtbild zu erfassen, das macht Schwochows Film auf sinnliche Weise erfahrbar. Geschichte nicht als Faktenreihung, sondern als Drahtseilakt der schlechten Gefühle.

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