Netflix: »Things Heard & Seen«
»Damit kann ich erklären…, dass Dinge im Himmel realer sind als Dinge, die in der Welt sind.« Mit diesen Worten des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg beginnt die Netflix-Produktion »Things Heard & Seen«. Sehr geschickt erweitert der Film seine Spukhaus-Geistergeschichte mit einem Ehedrama um toxische Männlichkeit zu einem Psychothriller, der von übersinnlichen Phänomenen Anfang der 1980er Jahre erzählt, aber zugleich sehr gegenwärtige Diskurse verhandelt.
Von Anfang an scheint etwas nicht in Ordnung zu sein im Leben von Catherine (Amanda Seyfried), lange bevor sie mit ihrer Familie in die abgelegene Kleinstadt im Hudson Valley zieht. Sie hatte gerade begonnen, sich in New York ein Renommee als Kunsthistorikerin aufzubauen, nach außen wirkt auch ihre Ehe mit George (James Norton) und der kleinen Tochter wie aus dem Bilderbuch. Ihre Essstörung kann sie gut verheimlichen.
Als George frisch promoviert einen Lehrauftrag für Kunstgeschichte an einem kleinen College im nördlichen Bundesstaat erhält, stellt Catherine ihre eigene berufliche Laufbahn zurück. Schon bald überrumpelt George sie mit dem Kauf eines alten Farmhauses, in dem sich nach dem Umzug bald so mancher Gegenstand der Vorbesitzer findet. Ein alter Ring etwa oder auch eine Bibel mit einer Liste Verstorbener, auf der Namen ausgemerzt und mit einem handschriftlichen »Verdammt!« versehen wurden.
Während George mit seiner charmanten Art am College schnell seine Student*innen zu begeistern und auch sein Kollegium für sich einzunehmen versteht, fühlt sich Catherine zunehmend isoliert und fremdbestimmt. Merkwürdige Geräusche und Gerüche im Haus irritieren sie, George wiegelt lange ab. Bildet sie sich das alles nur ein? Ihre Tochter hat doch auch Angst und kann nachts nicht schlafen.
Als sich zwei Nachbarjungs vorstellen und ihre Hilfe bei Gartenarbeiten und Babysitting anbieten, erfährt Catherine zunächst nicht, dass sie bis zum tragischen Tod ihrer Eltern selbst in diesem Haus gelebt haben. Erst als Georges Vorgesetzter (F. Murray Abraham), ein glühender Verehrer Swedenborgs und seines lateinisch verfassten Hauptwerks »Himmel und Hölle« aus dem 18. Jahrhundert, der mit anderen Dorfbewohnern regelmäßig Séancen abhält, ihr versichert, dass die Seelen früherer Bewohner noch immer hier hausen, beginnt sie über die Vorgeschichte des Hauses zu recherchieren und stößt auf eine Reihe begabter Frauen, die sich in ihren Leben nicht entfalten konnten und Opfer ihrer gewalttätigen Ehemänner wurden. Wie ein Fluch scheinen ihre Schicksale über dem Ort zu liegen, das ist den Alten sehr wohl bewusst, auch wenn es so manch zugezogener Akademiker für esoterischen Mumpitz hält.
Das vom Regiepaar Shari Springer Berman und Robert Pulcini (»American Splendor«) spannend inszenierte Mysterydrama, nach dem 2016 erschienenen Roman »All Things Cease To Appear« von Elizabeth Brundage, nutzt die übernatürlichen Phänomene nicht als Visionen und bloßen Aberglauben einer psychisch labilen Frau, sondern nimmt sie in seiner narrativen und bildlichen Logik völlig ernst, bis zum bitteren Ende.
Isolation und Angstzustände der Protagonistin, auch ihre sexuelle Frustration, werden ins Paranormale verwandelt, in eine transzendentale Vorstellungswelt, die sich nach und nach für alle manifestiert. Das Unterdrückte und Verdrängte kehrt als mahnende Heimsuchung wieder und wirkt gerade in seiner zwingenden Ironielosigkeit atmosphärisch stimmig. Das liegt nicht zuletzt an der oft unterschätzten Amanda Seyfried, die hier als gebrochene Protagonistin überzeugt, die in einer lieblosen Ehe mit einem Narzissten erst spät lernt, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu hören. Denn als der eigentliche Wahn erweist sich letztlich das egoman-patriarchale Weltbild eines Mannes, der sich über seine beschränkten Fähigkeiten hinaus berufen fühlt.
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