TV-Tipp: Die Miniserie »Das Verschwinden«
Eigentlich will sie ihr eine Freude machen. Mit einer Torte kommt Michelle Grabowski (Julia Jentsch) am Geburtstag ihrer Tochter ins Büro der Baufirma, wo Janine (Elisa Schlott) arbeiten soll. Doch sie ist nicht an ihrem Platz, schon seit Tagen nicht. Ein erster Hinweis darauf, dass es vieles gibt, das die alleinerziehende Mutter nicht von ihrer Tochter weiß. Michelle besucht Janine in ihrer Wohnung und will mit ihr sprechen. Aber da sind gerade Manu und Laura zu Besuch, Freundinnen seit Kindesbeinen. Am Abend, in der Disco, stellt Michelle, die als mobile Krankenpflegerin arbeitet, ihre Tochter zur Rede, sagt, dass man sich's im Leben nicht immer aussuchen kann. Was Eltern halt so sagen.
Am nächsten Morgen ist Janine verschwunden, man findet ihr Auto nahe der tschechisch-bayrischen Grenze, die Tür steht offen, als wäre sie geflüchtet. Und weil die Polizei den Fall herunterspielt, macht sich Michelle selbst auf die Suche. Acht Tage wird diese dauern, 360 Fernsehminuten lang. Sechs Stunden, in denen Regisseur Hans-Christian Schmid auf behutsame Weise eine Kleinstadt seziert, unter deren Oberfläche es vielleicht nicht brodelt, aber doch Geheimnisse wabern. Die meisterhaft in Szene gesetzte Miniserie »Das Verschwinden«, uraufgeführt beim Filmfest München, ist eine der Sternstunden des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in diesem Jahr.
Viele der (Kino-)Filme von Schmid kreisen um das Thema Familie, schon sein erster Film »Nach fünf im Urwald« (1995) handelte von einer jugendlichen Ausreißerin, sein letzter »Was bleibt« (2011) war ein leises Familiendrama, das den Blick hinter die Fassade wagte. Auch dieser Film endete mit einem Verschwinden. In seiner Fernsehserie ist für Schmid der Krimiplot ebenfalls nur ein Aufhänger. Vordergründig geht es um die Drogenströme, um das Crystal Meth, das im nahen Tschechien gekocht wird und über die durchlässige Grenze herüberkommt. Immer wieder schneidet Schmid Ansichten des – fiktiven – Ortes Forstenau in der Oberpfalz ein: lieblich in einem Tal gelegen, doch die tiefhängenden Nebelwolken verkünden auch Unheil.
Janine und ihre Freundinnen haben ein Viertelkilo Crystal Meth gekauft, gebracht hat es der Kleindealer Tarik. Es ist für die Freundinnen eine Investition in die Zukunft, die es am Ende nur für eine geben wird. Im Lauf von Michelles Recherche wird nicht nur dem Zuschauer, sondern auch den Figuren klar, wie wenig die Eltern vom Leben, aber auch von den Träumen ihrer mittlerweile erwachsenen Kinder gewusst haben. Oder über was sie die ganze Zeit hinweggeschaut haben. Und was sie ihnen verschwiegen haben. Die Eltern von Manu (Johanna Ingelfinger) sind reich; der Vater ist Bauunternehmer, die Mutter Immobilienmaklerin. Und Manu ist drogensüchtig, was die Eltern durch eine Therapie in der Schweiz versucht haben zu kaschieren. Lauras Vater ist städtischer Angestellter in der Kläranlage, die kranke Mutter verdient noch etwas mit Schneidern hinzu. Laura stiehlt ihnen Geld. Es gehört zu den großen Kunststücken der Regie, dass Schmid die Welt der »einfachen Leute« so inszenieren kann, dass auch ein eichengetäfeltes Esszimmer nicht abstoßend wirkt.
Und auch Michelle hat ihrer Tochter etwas verschwiegen: wer ihr Vater ist – was fatale Auswirkungen haben wird. Die Kommunikation zwischen den Generationen scheint irgendwie versiegt, Vertrauen existiert nicht mehr. Dabei verweigert sich die Serie jeder billigen Anklage, die Eltern erscheinen ebensowenig als Monster wie die Kinder etwa verhaltensgestört. Und selbst dem Polizisten in Zivil, der seine Seilschaften schützt und bedient, nimmt man seine Verzweiflung angesichts des Drogenproblems ab – zumindest für einige Zeit.
Der lange Atem einer Miniserie scheint für einen subtilen Erzähler wie Hans-Christian Schmid ein Glücksfall, der ihm Gelegenheit zur Vertiefung seiner Charaktere und zur genauen Beschreibung des kleinstädtischen Milieus gibt.
»Das Verschwinden« läuft in der ARD am 22., 29., 30. und 31. Oktober, jeweils 21.45 Uhr
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