Houses of Parliament
V wie Vendetta
Small gun, Big Ben: George Lazenby
Es sind schon viele bedeutende Gebäude kaputtgegangen im Kino. Aber keines ist so triumphal ruiniert worden wie das britische Parlament, auch bekannt als Westminster-Palast, am Ende der Comicverfilmung
V wie Vendetta. Da explodiert das historistische Monstrum – besonders echt sieht es nicht aus – zu Tschaikowskis nicht minder monströser 1812 Ouvertüre durch alle Stockwerke hindurch, bis uns die Uhr des Big Ben um die Ohren fliegt. Ein perfekt inszeniertes revolutionäres Feuerwerk ist das, pathetisch, poppig, campy. Aber auch getragen von politischem Ernst: Es geht darum, die Macht von einem Superhelden auf die »Multitude« zu übertragen und das »Empire« – hier: ein futuristisches faschistisches Regime – zu schlagen. Kein Wunder, dass die lächelnde V-Maske von der Occupy-Bewegung übernommen wurde. Aber warum trifft es ausgerechnet das Parlament des Landes, das die Habeas-Corpus-Akte erfunden und als Erstes einen König geköpft hat? Wahrscheinlich ist Margaret Thatcher schuld.
Sabine Horst
V for Vendetta, D/GB/USA 2006, James McTeigue, DVD: Warner
»Ninotschka« (1939)
Für das Panorama der Filmmetropole Paris ist seine elegante, schlanke Silhouette unverzichtbar. Sie gehört zur Kurzschrift des Kinos: Nichts ist hilfreicher, diese Stadt zu etablieren. Aber Ernst Lubitsch ist raffinierter: Er zeigt zu Beginn von
Ninotschka lieber den Obelisken auf der Place de la Concorde. Eine Verwechslung ist trotzdem ausgeschlossen. Den Turm des Monsieur Eiffel filmt er nie in voller Höhe. Der hatte bereits seinen Auftritt als Radiosender in
Ärger im Paradies – und dieser Regisseur wiederholt sich nicht gern. Dem Zuschauer ist ohnehin klar, wo der charmante Krieg der Ideologien entschieden wird: Der Bonvivant Melvyn Douglas hätte keinen besseren Verbündeten finden können, um die sittenstrenge Sowjetkommissarin Greta Garbo von den Vorzügen kapitalistischer Leichtlebigkeit zu überzeugen.
Gerhard Midding
Ninotchka, USA 1939, Ernst Lubitsch, DVD: Warner
Kloster Eberbach
Der Name der Rose
»Der Name der Rose« (1986)
Besaß Jesus einen Geldbeutel? Über diese Frage streiten Papstgesandte und Franziskanermönche im Kapitelsaal eines legendären Klosters wie die Kesselflicker. Tatsächlich könnte es im Zisterzienserkloster Eberbach, in dem die meisten Innenaufnahmen des Klosterkrimis
Der Name der Rose gedreht wurden, historisch so zugegangen sein. »Murky gloom« nölte Kritikerpapst Roger Ebert damals angesichts der authentischen Kulisse finstersten Mittelalters. Außen aber kommt die schlicht-elegante Anlage, die zugleich ein Weingut ist und im lieblichen Rheingau liegt, fast wie das Paradies auf Erden daher. So landete Bernd Eichinger mit seiner ersten internationalen Produktion nicht nur einen Kassenhit, sondern machte nebenbei Eberbach zur touristischen Attraktion: erst in die Basilika, um die Aura von Filmgott Sir Sean Connery zu spüren, dann in die Vinothek, um sich durch die Riesling-Kabinett-Prädikatsweine zu probieren.
Birgit Roschy
Der Name der Rose, Jean-Jacques Annaud, D/F/It 1986, DVD: Studiocanal
Kolosseum
Die Todeskralle schlägt wieder zu/Double Team
In den aufgeladenen Momenten, kurz bevor sich Tang Lung und sein gefährlichster Gegner, der Amerikaner Colt, in einem der oberen Rundgänge des Kolosseums endlich gegenüberstehen, wirken die beiden Kämpfer fast verloren. Colts Auftritt, er steht in einem der majestätischen Bögen des Amphitheatrum Novum und zeichnet sich in seinem weißen Karateanzug vor der Weite des blauen Himmels ab, hat zwar etwas Mythisches. Als sei noch einmal ein Halbgott unter den Menschen erschienen. Aber angesichts dieses riesigen Bauwerks, in dem sich der archaische Kern jeder Zivilisation offenbart, verblasst selbst Chuck Norris’ imposante Statur.
»Die Todeskralle schlägt wieder zu« (1972)
Der Schauplatz und seine Historie sind einfach größer als der Showdown. Es ist also nur konsequent, dass Bruce Lee den entscheidenden Kampf ins Innere der Arena verlegt. Hier treffen, anders als 25 Jahre später in Tsui Harks Double Team, keine modernen Gladiatoren aufeinander. Ein bemerkenswerter Ernst prägt den Kampf, eine überraschende Ehrfurcht vor der Erhabenheit dieses Baudenkmals, die Hark dann in einem irrwitzigen »Brot und Spiele«-Spektakel mit großer Geste beiseitegewischt hat. So ergänzen sich diese beiden Showdowns perfekt. Tag und Nacht, Bescheidenheit und Grandezza, Menschen und Gladiatoren, die zwei Seiten der Menschheit in der Moderne wie der Antike.
Sascha Westphal
Meng Long Guo Jiang, Hongkong 1972, Bruce Lee, DVD: BMG Video/UFA
Double Team, USA 1997, Tsui Hark, DVD: Columbia Tristar
Staatsbibliothek
Der Himmel über Berlin
»Der Himmel über Berlin« (1987)
Der Retrolook, den Wim Wenders hier Berlin verlieh, wirkt heute wie ein Akt der Vorhersage: Kaum zwei Jahre später kam mit dem Fall der Mauer das Ende der Insel namens »West-Berlin«. Die Brachen (»Irgendwo war hier doch der Potsdamer Platz«, flüstert der greise Curt Bois) wurden seither neu bebaut, und wo damals Coffee & Cigarettes gefrönt wurde (»If you do it together, it’s fantastic«, schwärmt Peter Falk), trinkt man heute Bionade.
Eigentlich klang es wie ein Komödien-Pitch: Ein Engel möchte Mensch werden, nachdem er West-Berlin besucht hat. Aber Wenders filmte mit einer Ernsthaftigkeit, die im Umfeld der damals grassierenden Postmoderne-Ironie so erfrischend wirkte wie ein feuchtes, warmes Tuch nach langer Busreise. Alles ist echt in diesem Film, und wirkt doch wie sorgfältig gebaute Kulisse. Die Stabi – wie die Philharmonie, die Wenders in Kathedralen der Kultur porträtiert, ein Hans-Scharoun-Bau – scheint wie erfunden für den Zweck, ein Haus darzustellen, in dem sorgende Engel über lernende Studenten wachen. Die Reihen der Lesetische, das Auf und Ab der Ebenen und Galerien, der grandiose offene Blick auf den von Fensterfronten gesäumten Saal – feierlich und zugleich beschwingt bewegt sich die Kamera durch diesen einzigartigen Raum, der so elegant die Intimität der Einzelköpfe mit der Öffentlichkeit der Lesegemeinschaft verbindet.
Barbara Schweizerhof
Der Himmel über Berlin, D/F 1987, Wim Wenders, DVD: Studiocanal/Arthaus
Die Hafentreppe in Odessa
Panzerkreuzer Potemkin
»Panzerkreuzer Potemkin« (1925)
Sie wird für immer das eindringlichste Symbol für Unterdrückung und Reaktion bleiben. Es ist ein brutales Massaker, das die zaristischen Kosaken in Eisensteins Stummfilm
Panzerkreuzer Potemkin (1925) auf der von 1837 bis 1841 gebauten Freitreppe, die den Hafen mit der auf einem Plateau liegenden Stadt verbindet, anrichten. Die Menschen haben sich auf den 192 Stufen der Treppe (die heute übrigens nach dem Film Potemkinsche Treppe heißt) versammelt, um den aufständischen Matrosen auf dem Schiff ihre Solidarität zu zeigen. Von oben kommen die Kosaken in geordneten Reihen und schießen in die zerstiebende Menschenmenge. Immer wieder schneidet Eisenstein die wie Roboter in Formation laufenden Soldaten gegen das Gewusel auf der Treppe, aus dem er aber Individuen herauslöst: eine Frau, die ihr zertrampeltes Kind den Soldaten entgegenträgt, ein Baby in einem Kinderwagen, der die Treppe herunterrollt. Mechanik gegen Menschlichkeit. Es ist unmöglich, sich von der Suggestivität dieser Sequenz nicht ergreifen zu lassen. Zigmal haben andere Regisseur sie zitiert, am schönsten vielleicht der Eklektiker Brian De Palma beim Shootout im Bahnhof von Chicago in
The Untouchables. Aber der propagandistische Sog dieser Sequenz reizt auch zu Kalauern. In
Das Casanova-Projekt von Agthe/Eilert/Waechter/Gernhardt reden der große Alfred Edel und sein Regissuer über diese Treppe. War sie schmal, war sie winklig und kurvenreich? Und was war in dem Kinderwagen? Ein Teddy? Konspiratives Material? Oder gar ein Leninbild?
Rudolf Worschech
Bronenosec Potemkin, SU 1925, Sergei M. Eisenstein, DVD: Icestorm
UN-Hauptquartier
Die Dolmetscherin
»Die Dolmetscherin« (2005)
Einen kleinen Auftritt hatte das imposante Gebäude am Ufer des East River in Manhattan schon in Hitchcocks
Der unsichtbare Dritte. Der war aber nicht am Originalschauplatz gedreht; das weitläufig futuristische Foyer des von einer Architektengruppe unter Oscar Niemeyer und Hans Hollein konzipierten Baus musste im Studio gebaut werden. Erst Sydney Pollack schaffte es, Kofi Annan eine Dreherlaubnis abzuringen, wohl auch, weil sie bei der UN der Meinung waren, es sei an der Zeit, die Türen zu öffnen und den Leuten zu zeigen, was da vorgeht. Immerhin handelt Pollacks Film vom Spirit der United Nations, dem sich die von Nicole Kidman gespielte Dolmetscherin verschrieben hat, vom Glauben, dass Worte und Mitgefühl der bessere Weg sind, politische Ziele zu erreichen. In der großen Versammlungshalle für alle 193 Nationen werden die Werte von Offenheit und Begegnung gefeiert, während all die verwinkelten Treppenhäuser, Gänge und Kabinen Raum für die geheimen Machenschaften im Hintergrund bieten: »Do you think, not getting caught in a lie is the same thing as saying the truth?«, fragt der von Sean Penn gespielte CIA-Agent, der einen Anschlag auf einen afrikanischen Diktator vereiteln soll. Der 1965 zum ersten Mal verwendete Lieblingssatz von Pollack wird 2005 zur Metapher für das allgegenwärtige Gefühl, von Politikern ununterbrochen belogen zu werden.
Anke Sterneborg
The Interpreter, F/GB/USA 2005, Sydney Pollack, DVD: Universal
Empire State Building
An Affair to Remember, Schlaflos in Seattle
»Schlaflos in Seattle« (1993)
Andy Warhol filmte nur die Spitze, acht Stunden lang und ohne jede Kamerabewegung. Kerry Conran erfüllte in
Sky Captain and the World of Tomorrow den nie realisierten Traum der Bauherren und ließ ein Luftschiff am Turm andocken. Und Roland Emmerich legte in
Independence Day auch dieses Bauwerk in Schutt und Asche. Trotzdem ist das Empire State Building im Kino eher ein Treffpunkt für schicksalhafte Rendezvous und ein Sehnsuchtsort für Romantiker – zu denen man sogar den liebeskranken Riesenaffen in
King Kong zählen kann. Nirgendwo in New York sei man dem Himmel so nah, sagt Deborah Kerr in
An Affair to Remember. Und in
Schlaflos in Seattle zeigt das Art-déco-Gebäude mit seinen erleuchteten Fenstern buchstäblich Herz und lockt Meg Ryan auf die Aussichtsplattform, wo Cary Grant vergeblich auf die große Liebe seines Lebens wartete. Um ein Haar wiederholt sich dort die Filmgeschichte, aber Nora Ephrons romantische Komödie vertraut der Magie des Wolkenkratzers und lässt Ryan doch noch zu Tom Hanks finden.
Frank Schnelle
An Affair to Remember, USA 1957, Leo McCarey, DVD: Fox
Sleepless in Seattle, USA 1993, Nora Ephron, DVD: Columbia Tristar
Chrysler Building
American Monster
Für King Kong war die luftige Höhe des Empire State Buildings die letzte Zuflucht; ein anderes Monster nistete sich gleich richtig an der Spitze des Chrysler Buildings ein und dezimierte von hier aus die Bevölkerung Manhattans. Welcher Ort würde auch besser passen für eine Riesenechse namens Quetzalcoatl als dieser, ähnelt doch seine Krone den Schuppen eines Reptils.
»American Monster« (1982)
Das »Q« des Titels steht allerdings auch für Quinn, Jimmy, einen Kleinkriminellen mit großen Aspirationen, der das Versteck des Monsters entdeckt und beschließt, daraus Profit zu ziehen. Michael Moriarty, einer der Stammschauspieler des Regisseurs Larry Cohen (trotz mehrerer Festivalwürdigungen in den vergangenen Jahren immer noch zu wenig bekannt) sorgt dafür, dass Q – The Winged Serpent mehr als ein Monsterfilm ist. Auf jeden Fall ist es eine denkwürdige Hommage an das 1930 errichtete Chrysler Building, das mit seinen 319 Metern (einschließlich der Mastspitze) für immerhin elf Monate das höchste Gebäude der Welt war – bis zur Fertigstellung des ebenfalls im Art-déco-Stil gehaltenen Empire State Building.
Frank Arnold
Q – The Winged Serpent, USA 1982, Larry Cohen, DVD: Koch Media
Grand Central Station
Carlito’s Way
»Carlito's Way« (1993)
Kaum ein zeitgenössischer Regisseur hat ein ähnliches Gespür für Architektur wie Brian De Palma. Vor allem Bahnhöfe spielen in seinen Filmen immer wieder zentrale Rollen, von
Blow Out bis zu den
Untouchables. In der Gangsterballade
Carlito’s Way findet der Showdown in der New Yorker Grand Central Station statt: Der alternde Gangster Carlito (Al Pacino) will mit dem Zug aus der Stadt flüchten, wird dabei jedoch von rachsüchtigen Mafiosi verfolgt. In den Hallen und Gängen des Bahnhofs entspinnt sich ein furioses Versteckspiel, bei dem De Palma praktisch die gesamte Struktur des imposanten Beaux-Arts-Bauwerks durchmisst. Auch eine Eisenstein-Referenz ist drin, wobei De Palma den Klassiker clever modernisiert, indem er das aberwitzige Feuergefecht auf Rolltreppen verlegt. Zugleich wird der Bahnhof zum Symbol eines Aufbruchs, den es für den tragischen Helden nicht geben wird. Immer wieder schneidet De Palma auf die riesige, historische Bahnhofsuhr, aber Carlitos Zeit ist längst abgelaufen.
Kai Mihm
Carlito’s Way, USA 1993, Brian De Palma, DVD: Universal
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