Tage voller Musik, Matsch & Liebe
Musikdokus gab es viele in den letzten Jahren. Jetzt startet die populäre Indie-Band The National Mistaken for Strangers
Fast eine halbe Million Menschen. In schmuddelige Decken gehüllt liegen sie auf der Wiese, in Liegestühlen, auf geschmiedeten Bänken. Sichtlich ermattet nach einem ganz erstaunlichen Konzert. Es ist der 5. Juli 1969. Gerade noch hatte Mick Jagger sein »Midnight Rambler« in die Massen gebrüllt, Keith Richards seine Gitarre lasziv erklingen lassen, und ein gewisser Mick Taylor hatte ihm gegenübergestanden. Es war sein erster Auftritt mit den Rolling Stones. Sein Vorgänger, Brian Jones, war zwei Tage zuvor tot aufgefunden worden – ein Unfall, hieß es. Aus einem Kostenloskonzert für die Fans wurde eine enorme Gedenkfeier für Brian Jones, und viele dachten damals, das sei das Ende der Rolling Stones. The Stones in the Park, der Film von Leslie Woodhead (1969) , zeigt die Stones allerdings in der Pose des »Jetzt erst recht«. »Alles, was das Publikum will«, sagte Jagger damals im Interview, »ist Spaß. Und wenn sie Spaß haben, dann hast du auf der Bühne auch Spaß und gibst es wieder zurück. So geht das.«
Die Gedenkfeier für Jones brachte erst die Band hervor, die noch heute unermüdlich Auftritt an Auftritt, Album an Album und Film an Film reiht – über Gimme Shelter von Charlotte Zwerin, Albert Maysles und David Maysles, der den dramatischen Tod eines jungen Mannes bei dem legendären Konzert von Altamont dokumentiert (ebenfalls 1969), bis zu dem bislang letzten und möglicherweise besten dieser vielen Konzertfilme, Shine a Light von Martin Scorsese, gedreht 2006.
Wir basteln einen Mythos: Die Stones
Ein anderer Film, der wenig Musik enthält, aber eine unglaubliche Geschichte erzählt, war, kaum beachtet von der Welt, ein Jahr zuvor erschienen – ein Film, der ein Bild von Brian Jones entstehen lässt, der schildert, wie er zwischen Schwimmen und Klavier zu wählen hatte, wie er Drogen nahm und sie zugleich kategorisch ablehnte und wie er sich mit zahlreichen Mädchen vergnügte, bis er eines Abends tot auf dem Grund seines eigenen Pools lag. Stoned (2005) vom Regisseur und Autor Stephen Woolley allerdings ist ein Spielfilm – die Idee eines Fans, eine subjektive Sicht, mit begrenztem Wahrheitsanspruch. Woolley vertritt die These, der Bauunternehmer Frank Thorogood habe seinen Freund Brian Jones umgebracht. Man mag das glauben oder nicht – tatsächlich ist der Tod von Brian Jones bis heute ungeklärt. Nach dem Film wurde der Fall noch einmal aufgerollt. Ohne Ergebnis.
Die Geschichte der Musikfilme von, mit und nach den Rolling Stones ist beispielhaft in ihrer Vielseitigkeit und Weitläufigkeit. Sie zeigt, dass es tatsächlich ein eigenes Genre geben muss, das über den Gattungsbezeichnungen Spiel- oder Dokumentarfilm steht und sich ausschließlich einem popmusikalischen Phänomen widmet, das eine Band caught in the act begleitet, porträtiert oder entschlüsselt und doch an einem gewissen Punkt stecken bleiben muss: Da ist immer etwas Unerklärbares, eine Lücke oder ein Mangel. Selbst ein so erstaunlich geschnittener Film wie Shine a Light, der einen singenden, tanzenden, springenden, quer über die Bühne rennenden 63-jährigen Mick Jagger zeigt und den Rolling Stones so nahe kommt wie kein anderer, bleibt dem Fan etwas schuldig. Er trifft auf einen physisch passiven Zuschauer, in einem dunklen Raum, der sich der Illusion ergeben kann, aber niemals ein Konzertgefühl entwickeln wird. Was fehlt, ist eben jenes Mysterium, das einzig zwischen Bühne und Publikum entsteht und sich nicht festhalten lässt. Was den Film allerdings noch nie daran gehindert hat, es immer wieder zu versuchen.
Die meisten Musikfilme, sei es der Maßstäbe setzende Woodstock-Film von Michael Wadleigh (1970), sei es der grandiose Monterey Pop von D. A. Pennebaker (1968) oder Pink Floyd: Live at Pompeii von Adrian Maben (1972), begnügen sich nicht mit dem Konzertgeschehen. Sie inszenieren nicht nur die Bands, sondern auch das wie immer reduzierte Umfeld. Das fängt bei der Auswahl der auftretenden Musiker an. Woodstock besteht in der Wahrnehmung heute fast nur noch aus den wenigen Acts, die im Film vorkommen, allen voran Joe Cocker, nicht weil er so ein großer Star war, sondern weil er sturzbetrunken auftrat und trotzdem charismatisch wirkte. Und das Setting, die bunten Steppdecken im Matsch, die nackt badenden Mädchen im Fluss, das Meer von friedlichen Zuschauern, der kauzige Farmer Max Yasgur, der vor der Kamera erklärt, dass Alkohol eine viel schlimmere Droge sei als Marihuana: All das gehört zum Mythos Woodstock.
Hinter der Bühne, zwischen den Songs
Ang Lee zieht mit seinem Spielfilm Taking Woodstock (2009), der passenderweise als »Historienfilm« bezeichnet wird, die einzig mögliche Konsequenz daraus. In 120 Minuten zeigt er alles, was zu Woodstock führte und das Festival am Laufen hielt – jedoch keine Band. Als gäbe es ein Bilderverbot nach dem einen, dem einzig wahren Film, geht Ang Lee davon aus, dass niemand etwas vermissen wird, wenn er statt der Auftritte die einzigartige Stimmung »offstage« zeigt. Und auch Pink Floyd: live at Pompeii ist eben nicht nur ein Konzertfilm, sondern eine feine Gratwanderung unter dem Vulkan. So trägt jeder Film das Seine zur Mythenbildung bei. Das legendäre »Stones in the Park«-Konzert war nämlich keineswegs ein reines Stones-Event. Der Film präsentiert nur einen Ausschnitt aus einem großen Festival, den Rest, die Auftritte von King Crimson, Alexis Korner’s New Church, Roy Harper oder Family, spart Leslie Woodhead bewusst aus. Es ging ihm schon damals um den Mythos Rolling Stones. Und diese Band, deren Songs so teuer zu bezahlen sind, wenn sie in Filmen Verwendung finden sollen, geistert eben genau deshalb durch die Filmgeschichte, weil es sie länger gibt als jede andere, ohne dass sich musikalisch irgend etwas entwickelt hätte.
In dem klugen, analytischen Spielfilm Not Fade Away von David Chase (2012) nach dem Buddy-Holly-Song, den erst die Rolling Stones wirklich zum Hit machten, findet der jugendliche Ausdruckswille der Sechziger eine Plattform in der Popmusik. Ungezählt sind die Bands, die aus dem Boden schießen und gleich wieder eingehen. Eine von diesen entspringt einer Szene, die der Film in abstraktem Schwarz-Weiß seiner Handlung voranstellt. 1961: Auf einem Bahnsteig in Dartford begegnen sich zwei Jungen. Der eine ist auf dem Weg zur London School of Economics, der andere will zum Sidcup Art College. Beide kennen sich aus Kindertagen. Der eine stellt erfreut fest, dass der andere Platten von Chuck Berry und Muddy Waters dabeihat, sie verabreden sich, um Musik zu hören. So weit, so wahr. Wenig später kommt »Not Fade Away«, und das klingt nicht nur wie eine programmatische Aussage, sondern gelingt dieser Band auch erstaunlich gut. Sie scheint die Unsterblichkeit physisch verstanden zu haben.
Schafft einen, zwei, drei Dylans
Ein anderer Unsterblicher, der einen langen Schatten wirft, ist Bob Dylan. In Martin Scorseses Dokumentation The Last Waltz, einem der meistgeliebten »klassischen« Konzertfilme, jammt er mit The Band. 2005 widmete Scorsese ihm ein Solo. »No Direction Home – Bob Dylan« wurde zwar als Zweiteiler für das Fernsehen produziert, lief aber auch bei uns in zahlreichen Kinos. Er zeigt den unaufhaltsamen Weg Bob Dylans zur Ikone einer Generation, zu dem bislang einzigen Popstar, der für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen wurde. Scorsese sichtete mehrere Hundert Stunden Archivmaterial und verband Konzertmitschnitte, Interviews und Fotos mit Aussagen zahlreicher Weggefährten. Das Ergebnis ist eine sauber recherchierte Filmbiografie, die viel erklärt, aber in ihrer sachlichen Distanz ganz anders vorgeht als Todd Haynes in I’m Not There aus dem Jahr 2007. Hier werden Momente aus Dylans Karriere nachgestellt, Momente, die Veränderungen nach sich zogen oder prägend waren. Und die Figur Dylan wird dabei so offen, dass – praktisch jeder sie spielen kann? In Haynes’ Inszenierung von sechs Dylan-Inkarnationen entsteht etwas, das über die lebensnahe Beschreibung der Figur Bob Dylan hinausgeht. Der Part, den Cate Blanchett spielt, markiert einen der wichtigsten Momente in Dylans Karriere: als er im Jahr 1965 anfängt, elektrische Gitarre zu spielen. In dem Film Eat the Document, der seine Großbritannien-Tour von 1966 zeigt, tritt er erstmals mit elektrischer Gitarre auf. Gemeinsam mit D. A. Pennebaker, der Dylans Auftritte bereits in Don’t Look Back begleitet hatte, führte Dylan selbst Regie. Der Film zeigt, quasi als Beweis für die große Irritation bei den Fans, die die elektrische Gitarre als Verrat an der Folkbewegung ansahen, ein Interview mit dem Besucher eines Konzerts in Manchester, der damals »Judas« gerufen hatte. Der Film allerdings kam nie in die Kinos. Es soll einige unautorisierte Kopien geben, die sich im Besitz von unbekannten Sammlern befinden. Lediglich Ausschnitte sind in den Weiten des Internets zu finden, etwa der, der Dylan mit John Lennon, offensichtlich unter Drogen, in einem Taxi zeigt. Wertvolle Bilder, die wesentlich mehr zum Dylan-Image beitragen als die der Bühnenfigur.
Es ist der Mythos, das Unsagbare, das sich an die Bilder heftet, zwischen den Szenen mitschwingt und eine Geschichte besonders macht. Die Auftritte, das oft hilflose Abfilmen einer Bühnenshow, sind immer nur der Ersatz für die Liveerfahrung. Das gilt auch für konzeptuell so durchgeplante Bühneninszenierungen wie die der Talking Heads. David Byrne hatte Jonathan Demme zwar jede Freiheit zugestanden für seine Konzertdokumentation Stop Making Sense, doch alles nur im Sinne der Selbstinszenierung. So kommt im Film fast kein Publikum vor, was den Zuschauer optisch in größere Nähe zur Band rückt. Und doch ist der Film als Medium dominant, und das Konzert wirkt wie eine Inszenierung vor der Kamera.
Vergessene und Gescheiterte
Was der Film allerdings sui generis kann, ist emotionale Nähe herstellen zwischen dem im wirklichen Leben immer weit entfernten Star und dem Fan. Einer, der solche Nähe aus dem Stand entwickelt, ist der Dokumentarfilm Searching for Sugar Man von dem schwedischen Regisseur Malik Bendjelloul (2012) – das Flaggschiff einer kleinen Armada von interessanten dokumentarischen und halbdokumentarischen Musikfilmen, die in den letzten Jahren ins Kino kamen. Der hochdepressive Filmemacher, der viel von seiner eigenen Persönlichkeit in den Film steckte, hat sich im Mai dieses Jahres umgebracht. Sieht man die ersten Szenen von Searching for Sugarman, könnte man meinen, es handle sich um ein Mockumentary, eine inszenierte Dokumentation im Zeichen der Ironie wie beispielsweise Fraktus – das letzte Kapitel der Musikgeschichte von Lars Jessen (ebenfalls 2012). Verschiedene Südafrikaner reden da von ihrem musikalischen Helden, dem Idol der frühen studentischen Anti-Apartheid-Bewegung, einem gewissen Sixto Rodriguez. In der Folktradition zwischen Bob Dylan und Donovan habe er in den frühen Siebzigern in den USA zwei Platten aufgenommen. Von der Kritik hochgelobt, aber vom Publikum verschmäht, habe er sich dann zurückgezogen, sei gestorben, habe sich auf offener Bühne verbrannt. Der Legendenbildung sind keine Grenzen gesetzt. Tatsächlich aber zeigt der Film dann ganz real, wie sich zwei Südafrikaner, Stephen »Sugar« Segerman und Craig Bartholomew Strydom, nach Detroit aufmachen, dort ihre Suche starten und Sixto Rodriguez nach einigen Umwegen tatsächlich finden. Der amerikanische Musiker arbeitet völlig verarmt und von der Öffentlichkeit vergessen auf dem Bau. Als ihn die beiden überreden, zu einem Konzert nach Südafrika zu kommen, kann er es kaum glauben. Und wie er vor 20 000 begeisterten Fans die ersten Töne auf seiner Gitarre anschlägt und ins Mikrofon haucht: »Thanks for keeping me alive« – diese Bilder sind tatsächlich in der Lage, etwas von dem Mysterium eines Liveauftritts festzuhalten. Hier allerdings einzig als Konsequenz aus der unglaublichen Geschichte, die der Film erzählt und die für die meisten rational und emotional vollkommen überraschend ist. Nicht wenigen sind bei diesen Bildern die Tränen gekommen. Es bleibt die emotionale Nähe, die die erfolgreiche Suche in Searching for Sugar Man herstellt, vor der Kraft des eigentlichen Konzerts.
Es ist immer wieder eine Frage von Nähe und Distanz. In fast allen seinen Filmen ist Neil Young als Regisseur (unter dem Pseudonym Bernard Shakey), Autor, Darsteller, Produzent, Executive Producer oder Kameramann beteiligt. Das hat weniger damit zu tun, dass er keinem anderen zutraut, das Neil-Young-Image zu bedienen, sondern es ist eine Frage der Praktikabilität. In Filmen wie Rust Never Sleeps von 1979 zum Beispiel zeigt ein vollständiges Konzert, wie es war. Man ist quasi auf der Bühne mit dabei, kann die Musik genießen, die später als Livealbum veröffentlicht wurde, und hat doch keinen Auftritt Neil Youngs gesehen. Das ist kein Fehler der Inszenierung, sondern eine unvermeidbare Folge des Mediums, das sich zwischen Fan und Gegenstand schiebt.
Musik schafft Beziehungen. In der Regel zwischen zwei Gleichdenkenden, Jagger/Richards, Lennon/McCartney oder Daltrey/Townsend. Auch Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft von Sacha Gervasi (2008) oder, etwas kleiner, Unplugged: Leben Guaia Guaia von Sobo Swobodnik (2012) erzählen von Musikerpaaren, die sich mit ihrer Musik gegen die Widrigkeiten des Lebens stellen. Und da ist es gleich, ob es sich um Heavy Metal wie bei der kanadischen Band Anvil (deutsch: Amboss) oder akustische Straßenmusik von der deutschen Band Guaia Guaia handelt. Hier werden Freundschaften musikalisch produktiv, die Musikdokumentationen zum Zeugnis dieser Verbindungen.
Anvil ist freilich auch das Dokument eines Scheiterns. Beim Super Rock Festival 1984 in Japan traten Hardrockbands wie die Scorpions, Whitesnake und Bon Jovi auf. Alle verkauften später Millionen von Tonträgern, mit einer Ausnahme: Anvil. Die Gründer endeten als Bauarbeiter und als Auslieferer für Essen auf Rädern. Ohne erkennbaren Grund. Und der Film ist, schon weil es ihn überhaupt gibt, ein Indiz für den ausstehenden Erfolg. Wie konnte eine so bestechende Freundschaft von den Metalfans übersehen werden? Tatsächlich gab es nach dem Film ein kurzes Comeback der Band, dann wurde es wieder still um sie.
Alles Lüge – Auf der Suche nach Rio Reiser von Barbara Teufel (2007) verbindet das Dokumentarische mit einer Spielfilmhandlung. Die Berliner Band Ton Steine Scherben und ihr Kopf Rio Reiser waren Sprachrohr einer Generation dazwischen. Nicht mehr ganz 68er und noch nicht Punk, schufen sie Anfang der Siebziger die Parolen für eine zweite Protestkultur. Monoton, aber wirkungsvoll brach sich hier die Sehnsucht nach dem befreiten Leben Bahn. Ein Protest, mit dem nicht nur Reiser und die Scherben an die Grenzen gingen. Aus Angst, in der reinen Dokumentation könne diese Kraft verloren gehen, mischt Regisseurin Barbara Teufel Realität und Fiktion, nimmt Interviews, Konzertmitschnitte, Statements von Reiser und bettet sie in einen fiktiven, der Gegenwart des Jahres 2006 entsprechenden Kontext. So ist Alles Lüge das Dokument einer eigenen Wahrheit, mit dem hohen Anspruch der Authentizität, und muss sich daran messen lassen. In der Regel aber funktioniert so etwas nicht.
Holy Wacken Land
Die narrative Dokumentation, die subjektiv bleibt und doch universell beglücken kann, ist das Mittel, wenn es um Musik geht. Der einzigartige Film Full Metal Village der deutsch-koreanischen Regisseurin Cho Sung-hyung ist das beste Beispiel dafür. Hier wird die Welt von Wacken, einem Dorf in Schleswig-Holstein, von innen heraus erklärt. Als der Film im Jahr 2006 erschien, war das Heavy-Metal-Festival 16 Jahre alt; viele hatten davon gehört oder die Autos mit dem selbst geklebten Schriftzug W-O-A, Wacken Open Air, auf der Autobahn gesehen. 2006 kamen 56 Bands nach Wacken und 48.000 Zuschauer, das Ticket kostete 79 Euro. 1990 betrug der Eintritt 6,50 Mark, es spielten sechs deutsche Bands, die so gut wie niemand kannte, vor 800 Zuschauern. Es war ein Selfmade-Festival, erdacht von einer kleinen Gruppe Ortsansässiger, und ist heute, mit 135 Band und über 80 000 Zuschauern, das größte Heavy-Metal-Festival der Welt. Der Film von Cho Sung-hyung ist lebendige Ethnologie, ein Dokument des radikalen Wandels eines Dorfes und ein ungeheuer komisches Stück über eine deutsche Subkultur. Die Art, wie die Filmemacherin als Koreanerin mit leichtem Befremden auf die Bauern zugeht und sie zu ihrer Lebensrealität befragt, Landwirtschaft in Grenzgebieten auskundschaftet, gipfelt in der Szene, in der die Headbanger ihre Haare zu den Klängen der Feuerwehrkapelle durch die Luft wirbeln. Wacken ist auch hier ein Mysterium. Dessen Essenz, so will es der neue Wacken-Film von Norbert Heitker in 3D, ist der Matsch. »Four days of music, mud and peace« – das ist die schelmische Variation des Woodstock-Mythos heute. Vor und hinter der Bühne, vor allem aber in den endlosen Campingwiesen des »Holy Wacken Land« zwischen kaum zu unterscheidenden Fans.
Bleibt noch die absurd-alberne Variante der Musikdoku, wie wir sie in Noseland von Aleksey Igudesman oder Mistaken for Strangers von Tom Berninger finden. Beide Filme zeichnet eine bewusste Grenzübertretung aus, die aus der Dokumentation des Realen eine Komödie macht, einen Film, der spöttisch mit sich selbst umgeht und so tut, als wisse er es nicht besser. Die Protagonisten, ob nun Julian Rachlin oder die amerikanische Band The National, sind so souverän, dass sie dadurch keinen Schaden nehmen. Und Michael Moore, jemand der es wirklich wissen muss, lobte Mistaken for Strangers als »one of the best documentaries about a band that I’ve ever seen«. Tatsächlich ist die Farce, die Dokumentation, die sich einmal um sich selbst dreht, in der Lage, viel ersthafte Musik zu transportieren.
WOODSTOCK | USA 1970, Michael Wadleigh
Das dreitätige Kultfestival der Flower-Power-Generation wurde in
einem ursprünglich drei-, in der Director’s-Cut-Version sogar fast vierstündigen Film episch ausgebreitet. Unvergesslich bleibt der Auftritt von Jimi Hendrix.
A HARD DAY’S NIGHT | GB 1964, Richard Lester
Lesters Komödie ist eine irrwitze Achterbahnfahrt auf dem Höhepunkt der Beatlemania. Höhepunkt ist die Verfolgung der Beatles durch ihre Fans in den Straßen von London.
THE LAST WALTZ | USA 1978, Martin Scorsese
Lange Zeit spielte The Band mit Bob Dylan, im Film Woodstock (an dem Scorsese ebenfalls mitarbeitete) fiel ihr Auftritt jedoch der Schere zum Opfer. The Last Waltz dokumentiert ihr Abschiedskonzert; sechs Jahre später fanden die Mitglieder jedoch wieder zusammen.
THIS IS SPINAL TAP | USA 1984, Rob Reiner
Rob Reiner (Harry und Sally, Die Braut des Prinzen) gab sein Regiedebüt mit dieser Mockumentary, das Heavy-Metal-Bands durch den Kakao zieht. In Die Simpsons gibt es die Band Spinal Tap »wirklich« – jedenfalls hat sie einen Gastauftritt.
RUST NEVER SLEEPS | USA 1979, Neil Young
Neil Young und Crazy Horse lieferten mit »Rust Never Sleeps« eines ihrer furiosesten Alben, die Live-Performance im Cow Palace in San Francisco wurde im gleichnamigen Film von Young festgehalten. Weitere Musikdokus, unter anderem von Jim Jarmusch und Jonathan Demme, folgten in den Jahren darauf.
METALLICA: SOME KIND OF MONSTER | USA 2004, Joe Berlinger
u. Bruce Sinofsky Heavy Metal in der Sinnkrise: über die Zerwürfnisse von James Hetfield und Lars Ulrich zerbricht fast die Band Metallica. Bei Gruppentherapiesitzungen kämpfen die Mitglieder um deren Zukunft.
½ MENSCH | 1986, Sogo Ishii
Regisseur Sogo Ishii durfte die Industrialband Einstürzende Neubauten auf ihrer Japan-Tour begleiten. Die Philosophie der Band, dass jedes Geräusch auch Musik ist, setzte Ishii in einer experimentellen Musikdoku um.
PURPLE RAIN | USA 1984, Albert Magnoli
Der Film zum Doppelalbum von Prince verbindet Konzert- und Spielfilmelemente zu einem imposanten Machwerk. Die Fortsetzung von 1990, Graffiti Bridge, konnte an den phänomenalen Erfolg nicht anknüpfen.
STOP MAKING SENSE | USA 1984, Jonathan Demme
Der Film über die Talking Heads ist genauso progressiv und avantgardistisch wie die Band um Frontmann David Byrne. Fast keine Aufnahmen vom Publikum und digital abgemischter Sound unterstreichen die artifizielle Ästhetik der Konzertaufnahmen.
GIMME SHELTER | USA 1970, Albert und David Maysles und Charlotte Zwerin
Der Auftritt der Rolling Stones beim Altamont Speedway Free Festival in Kalifornien endete im Chaos. Nicht zuletzt, weil Mitglieder der berüchtigten Hells Angels als Security angeheuert wurden.
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