Nahaufnahme von Sebastian Stan
»The Apprentice« (2024). © Apprentice Productions Ontario Inc. / Profile Productions 2 Aps / Tailored Films Ltd.
Donald Trump in »The Apprentice« zu spielen, hätte sich wohl nicht jeder getraut. Aber nach seiner Zeit als Marvel-Held hat Sebastian Stan immer wieder das Schräge und Abseitige gesucht
Der Weg vom Kino des Michael Haneke zu den Blockbustern des Marvel-Universums ist weit. So weit, dass ihn bis heute kaum jemand zurückgelegt hat. Doch lange Wege konnten Sebastian Stan noch nie schrecken. Mit Geduld, Hartnäckigkeit und einem langen Atem hat sich der 42-Jährige von Europa mit einem Umweg übers Fernsehen in den Hollywood-Mainstream vorgearbeitet. Und ist inzwischen schon viel weiter.
Der kurze Auftritt, den er als 10-Jähriger in einer U-Bahn-Station in Hanekes »71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls« hatte, war genau das: ein Zufall, zustande gekommen nur, weil Stans Mutter fand, es könnte dem Jungen guttun, hin und wieder zu Castings zu gehen. Die beiden waren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus Rumänien, wo Stan 1982 geboren wurde, nach Wien gekommen. »Ich musste für meine Szene die ganze Nacht wach bleiben und hatte wirklich keinen Spaß an der Sache«, gab der Schauspieler vor ein paar Jahren in einem Video für »Vanity Fair« zu Protokoll.
Heute würde er alles dafür geben, noch einmal vor Hanekes Kamera zu stehen. Denn so sehr die Erfahrung damals ihm die Schauspielerei für eine ganze Weile vergällte: Wer weiß, ob nicht die Vorliebe für eigenwillige Regisseur*innen und komplexes Arthousekino, die ihn heute Filme wie Ali Abbasis »The Apprentice« drehen lässt, unbewusst so ihren Anfang nahm.
In »The Apprentice« spielt Stan nun eine Rolle, an die sich nicht jeder gewagt hätte. Als Donald Trump ist er im dritten Film des iranisch-dänischen Regisseurs nicht der umstrittene Polit-Populist, der sich aktuell erneut um die US-Präsidentschaft bemüht, und auch nicht der beliebte Gastgeber jener Fernsehshow, von der sich Abbasi den Titel geborgt hat. Stattdessen zeigt er den Aufstieg Trumps in den 70er und 80er Jahren: einen ebenso ehrgeizigen Immobilienmakler, der sich vom übermächtigen Vater zu befreien versucht und den skrupellosen Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong) als Lehrmeister wählt, von dem er sich das Angreifen und Aufschneiden abguckt.
In gewisser Weise ist »The Apprentice« eine Art Pendant zu »Joker«, die Origin-Story eines Superbösewichts. Nur dass es sich eben nicht um eine Comicfigur handelt, sondern um eine reale Person, wie Stan anlässlich der Weltpremiere des Films in Cannes betonte: »Natürlich macht das diese Rolle riskanter als andere. Auch ungemütlicher. Aber ich glaube, es ist wichtig, sich dem zu stellen, als Schauspieler wie als Publikum. Diesen Mann und das, wofür er heute steht, haben wir jeden Tag vor Augen, also muss man genau hinsehen. Und vielleicht auch mal eine neue Perspektive finden, um etwas zu lernen.« Seine Verwandlung in Trump ist dabei eine erstaunliche, nicht nur dank Betonfrisur und zusehends oranger werdendem Teint, sondern auch in einer faszinierend anzusehenden Mischung aus Naivität und Ruchlosigkeit.
Stan in dieser Rolle zu sehen ist nicht nur ob ihrer Kontroversität erstaunlich, sondern auch weil sein Karriereweg die längste Zeit eigentlich eher in andere Richtungen zu verlaufen schien. Nicht lange nachdem Mutter und Sohn in den 90er Jahren von Wien weiter in die USA zogen, findet er zwar – Schultheater sei Dank – doch wieder zurück zu Schauspielerei, Studium an der Rutgers University inklusive. Doch im Berufsalltag hält die Branche für den Mittzwanziger dann erst einmal das Rollenfach »All-American Pretty Boy« bereit, in Serien wie »Gossip Girl« oder »Kings«, Filmen wie Renny Harlins Highschool-Grusel »Der Pakt« und »Toy Boy« mit Ashton Kutcher, einem Musikvideo von Hayden Panettiere oder dem Sechsteiler »Political Animals«, in dem er den schwulen Sohn von Sigourney Weavers Ex-First-Lady spielt.
Kaum hat sich Stan schließlich aus der Schönlings-Schublade befreit, landet er in der nächsten. 2011 steigt er als bester Freund des titelgebenden Protagonisten mit »Captain America: The First Avenger« ins Marvel-Universum ein. Obwohl dieser Bucky Barnes von Beginn an als Superheld der zweiten Reihe angelegt ist, nimmt die Rolle ihren Darsteller voll in Beschlag: In vier weiteren Filmen ist er mit von der Partie, dazu kommen zwei Cameos sowie schließlich die Serie »The Falcon and the Winter Soldier«. Wenn er zwischendurch anderes spielt, wird das eher wenig wahrgenommen. Vielleicht auch, weil er kein Problem damit hat, sich in den Dienst spannender Frauenfiguren zu stellen, als Sohn von Meryl Streep in »Ricki – Wie Familie so ist«, Freund von Margot Robbie in »I, Tonya« oder Partner von Nicole Kidman in »Destroyer«.
Erst seit mit »Avengers: Endgame« ein entscheidender Abschnitt des Marvel-Universums zu seinem Ende gekommen ist, scheint bei Stan karrieremäßig ein Knoten geplatzt zu sein. Statt wie seine Superhelden-Kollegen Chris Evans oder Chris Hemsworth auf weitere Heldenrollen zu schielen, sucht er seither bevorzugt nach Schrägem und Abseitigem. Eine korrupte Nebenrolle im düsteren Noir-Krimi »The Devil All the Time« und splitterfasernackt im Beziehungsdrama »Monday«, der fragwürdig-verkrachte Rockstar Tommy Lee in der Miniserie »Pam & Tommy« und ein Kannibale im bitterbösen Horrorthriller »Fresh« – die Parts, auf die sich der Schauspieler dieser Tage mit spürbarer Leidenschaft stürzt, mögen vielleicht immer noch weit weg sein von Haneke. Aber sie gehören zum Spannendsten, was die US-amerikanische Film- und Fernsehbranche zu bieten hat.
»Es ist nicht so, dass ich auf Teufel komm raus nach Rollen suche, die möglichst krass oder außergewöhnlich sind«, sagt Stan beim Interview-Termin auf der diesjährigen Berlinale, wenige Tage bevor er dort für »A Different Man« (noch ohne deutschen Starttermin) den Silbernen Bären für die beste Hauptrolle erhält. »Aber ich habe viel Freude daran, jene Art von Kino zu machen, die ich selbst besonders liebe. Wenn mir ein Projekt keine Herausforderung bietet, nichts, wofür ich brennen oder woran ich mich reiben kann, dann fühlt sich das für mich ein bisschen an wie Dienst nach Vorschrift. Und das ist das Schlimmste, was einem in der künstlerischen Arbeit passieren kann.«
Ein schlechtes Wort über die Marvel-Maschinerie kommt ihm trotzdem nicht über die Lippen. Wie er ohnehin kein Mann der großen Töne oder des Mackertums ist, selbst jetzt, wo es erstmals in seiner Karriere hymnische Kritiken und Filmpreise regnet und ihm manche Expert*innen sogar eine Oscar-Nominierung zutrauen (wahlweise für »The Apprentice« oder »A Different Man«). Die Rückkehr des Bucky Barnes steht jedenfalls unmittelbar bevor, kommenden Mai wird er neben Florence Pugh, Harrison Ford und Julia Louis-Dreyfus in »Thunderbolts« zu sehen sein. Wie es danach weitergeht? Da zuckt Stan nur mit den Schultern. Was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie unvorhersehbar sein Weg seit den Tagen in der Wiener U-Bahn verlaufen ist.
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