Disney+: »The Falcon and the Winter Soldier«
»The Falcon and the Winter Soldier« (Miniserie, 2021). © Marvel Studios
Man kann das Marvel-Superhelden-Projekt auch so sehen: Zuerst waren da die »origin stories«, in denen vor allem einzelne junge Männer ihre Superkräfte entdeckten und lernen mussten, sie richtig einzusetzen. Dann kam die Phase der Teamarbeit, in der sie ihre Kräfte untereinander und gegen starke Gegner messen konnten. Und nun sind sie wieder vereinzelt, müssen mit den Folgen ihrer Taten umgehen und wieder lernen, »menschlicher« zu sein. In »The Falcon and the Winter Soldier« sieht das folgendermaßen aus: Eben noch spreizt Sam Wilson (Anthony Mackie) als Falcon seine Flügel und macht mit gewagten Manövern in der Luft irgendwelche Schurken zur Schnecke, dann sitzt er neben seiner Schwester beim Bankberater und muss sich die Ablehnung eines Kreditantrags gefallen lassen. Vorher hatte der Berater sich noch als »Fan« geoutet und danach erkundigt, wie das eigentlich bei Superhelden so mit der Bezahlung laufe… Nun, offenbar hat man es als Freischaffender auch in dieser Branche nicht leicht.
Kein Wunder, dass es auch Bucky Barnes (Sebastian Stan) nicht gut geht. Zum einen plagen ihn Alpträume aus seiner früheren Existenz als »Winter Soldier«, in der er als fremdgesteuerte Mordmaschine unterwegs war. Mittlerweile – die Serie spielt »post-blip« wenige Monate nach »Endgame« – hat man ihn zwar begnadigt, aber mit Auflagen: Er muss in Therapie. Wie schon so viele Helden vor ihm, sträubt er sich gegen den therapeutischen Prozess, indem er strategisch sein wahres Innenleben geheim hält. Und wie schon so viele Helden vor ihm, versucht er unterdessen im Verborgenen erstens die Rache an den Feinden zu planen, die ihn missbraucht haben, und zweitens ein bisschen Wiedergutmachung zu leisten für die Verbrechen, die er in Verblendung begangen hat. Unter anderem leistet er einem alten Mann Gesellschaft, der seinen Sohn auf schreckliche Weise verloren hat…
Das also scheint erst mal die Prämisse von »The Falcon and the Winter Soldier« (zur Besprechung wurde vor Druckschluss nur eine einzige Folge zur Verfügung gestellt): das quasirealistische Ausloten der Welt, die das Marvel Cinematic Universe über die letzten Jahre hinweg geschaffen hat. Von Kleinkrediten und Psychotherapie mag in der einen oder anderen Marvel-Serie schon mal die Rede gewesen sein, aber selten waren die Superhelden so direkt selbst davon betroffen. Allerdings deutet sich in der ersten Folge schon an, dass man es vielleicht doch nicht ganz so ernst meint mit dem Midlife-Crisis-Realismus: Dunkle Kräfte deuten Machenschaften an, indem sie ganz »aktuell« Protestbewegungen unterwandern. Dem neuen Captain America (Wyatt Russell aus »Lodge 49«), der Steve Rodgers' Schild erhält, nachdem Sam die unmittelbare Nachfolge abgelehnt hat, ist außerdem nicht zu trauen, das sieht man auf den ersten Blick. Der Weg der nächsten fünf Folgen scheint klar: Falcon und Winter Soldier müssen zu »wunderbarer Männerfreundschaft« zusammenfinden und Kredite und Therapiesitzungen werden erst mal vertagt, solange der Feind nicht in die Schranken gewiesen ist.
OV-Trailer
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