Kritik zu Black Swan

© 20th Century Fox

Ist sie eine Göttin oder ein verlorenes Girl? Natalie Portman beeindruckt und schockiert als mysteriöse Ballerina in Darren Aronofskys Ballet Noir über die zweifelhafte Perfektion der Kunst

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Zweifellos, Aronofskys neuer Film mit Natalie Portman ist in fast jeder Beziehung das faszinierende Gegenstück zu seinem letzten Werk »The Wrestler« mit Mickey Rourke. Ging es bei The Wrestler um einen Ringer, einen alten, abgetakelten Showman, der sich mit seinem Körper ausdrückt in der Welt der Trash-Kultur, so geht es jetzt um eine Ballerina, eine junge, aufstrebende Künstlerin, die sich mit ihrem Körper ausdrückt im Kosmos der Hochkunst. Die Figur der Ballerina ist in der Populärkultur vielleicht das härteste und zugleich zarteste weibliche Wesen. In unzähligen Ballettfilmen, angefangen bei »Die roten Schuhe«, ist sie dargestellt worden als unerbittlich in ihrer Disziplin und ihrem Willen, aber auch als äußerst fragil in ihrer Kunst, stets den wuchtigen Einflüssen all der Impresarios des Theaterbetriebs, aber auch des eigenen Unterbewusstseins ausgesetzt.

Natalie Portman als Nina ist eine junge Ballerina auf den ersten Blick. Sie ist extrem fleißig und schon meisterlich in der Tanztechnik. Sie scheint nicht missgünstig zu sein gegenüber den anderen Tänzerinnen. Und sie wohnt noch zu Hause bei ihrer Mutter in einem recht engen New Yorker Apartment. Das Ballett ist also alles für sie. Manchmal wirkt Natalie Portman wie die schöne, extravagante Version eines weiblichen Nerd.

Häufig ist Aronofskys Kamera auf den Hinterkopf von Nina gerichtet, sie klebt förmlich an ihr, verfolgt sie und ihre Sichtweise der Welt. Diese Bildeinstellung hat Aronofsky auch in »The Wrestler« verwandt. Man glaubt Mickey Rourke oder Natalie Portman zu beobachten, wie sie als Akteure eine Art Welttheater betreten und verzweifelt versuchen, zu Autoren dieser Wirklichkeit zu werden.

Portmans Nina ist im Grunde eine Gefangene. Gefangen in ihrem Körper, dem sie nicht den kleinsten Exzess gestattet. Gefangen in der Ballettmaschinerie. Gefangen auch in der Wohnung der Mutter, die von einer großartigen Barbara Hershey gespielt wird. Hier ist Aronofsky ein Besetzungscoup gelungen. Denn Hershey verkörperte in der New-Hollywood-Ära eine genuin amerikanische Rebellin. Jetzt als Ninas Mutter wirkt dieses Rebellentum verkrampft. Sie ist immer noch eine Kämpferin, für die Tochter hat sie die eigene Künstlerkarriere aufgegeben. Mit und durch Nina will sie gleichsam die Welt erobern. Als Choreographin des Lebens und Psycho-Mom droht sie Nina zu einer Marionette zu machen.

Ninas Probleme und Ängste spitzen sich zu, als ihr ein erster großer Karrierehöhepunkt bevorsteht. Der Starchoreograph Thomas, den Vincent Cassel als zwielichtigen agent provocateur verkörpert, gibt Nina eine Doppelrolle in seiner Neuinterpretation von »Schwanensee «. Nina soll nicht nur den anmutigen weißen Schwan tanzen, sondern auch sein böses, schwarzes Gegenstück. Um den black swan in Nina herauszulocken, fordert sie der verführerische Thomas mit seinen schmierigen Avancen heraus.

Der Karrierestress und die Identifikation mit der Doppelrolle haben natürlich längst Ninas abgründige Seiten freigelegt. Sie beginnt, sich selbst zu verletzen, und sie nimmt überall Schemen und Phantome wahr, wie einst Catherine Deneuve in Polanskis »Ekel«. Aronofskys Film ist ein düsteres Werk, an manchen Stellen wird er ganz und gar zum Horrorfilm. Nina sieht sich in den anderen oder die anderen als Teil ihres eigenen Wesens. Sie spiegelt sich in ihrer schönen, draufgängerischen Kollegin Lilly und vor allem in der schmerzlichsten Figur des Films, in der ehemaligen Primaballerina Beth, die – ein zweiter Casting-Coup – von Winona Ryder als melancholische Furie dargestellt wird.

Das Finale ist dann ein irrwitziges Melo über das Leben, die Kunst und den Wahn. Als weiblicher Dr. Jekyll und Mr. Hyde tanzt sie förmlich die Schizophrenie. Ein danse macabre zu Tschaikowski-Musik, der Psychologie übersetzt in Ritual, in Tanz, in Kino. Bei diesem Showdown möchte man Natalie Portman wieder mit Mickey Rourke vergleichen, man möchte geschlechtsspezifische Differenzenfeststellen. Aber man ist überrascht, wie ähnlich sich die beiden sind in ihren glorreichen Selbstzerstörungsfantasien. Transzendenz des Körperlichen, Sehnsucht nach Perfektion, Doppelgängermotive: am Ende wird klar, dass »Black Swan« ein zutiefst romantischer Film ist, die Wiederentdeckung der düsteren Romantik im heutigen New York.

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