Nahaufnahme von Emmanuelle Devos
Emmanuelle Devos in »Parfum des Lebens« (2019). © Happy Entertainment / 24 Bilder
Emmanuelle Devos ist eine der originellsten Schauspielerinnen des französischen Autorenkinos. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Jacques Audiard, Alain Resnais, Arnaud Desplechin und sammelte Preise, auch im Theater. Bei uns kommen ihre modernen Frauenporträts leider zu selten an
Bei der Verleihung der Césars im Jahre 2002 gab es einen kleinen Aufreger: Nicht die favorisierte Audrey Tautou gewann den höchsten französischen Filmpreis, sondern Emmanuelle Devos. Die Rolle, mit der sie in Jacques Audiards Gangsterdrama »Lippenbekenntnisse« die Heldin des Welthits »Die fabelhafte Welt der Amélie« ausstach, war zwar ebenfalls die eines Aschenputtels, das kleine, krumme Dinger dreht. Doch die Protagonistin von Audiards Film, eine unscheinbare, nahezu taube und missachtete Sekretärin, die sich mit einem kriminellen Nichtsnutz (Vincent Cassel) verbündet, ist sicher weniger fotogen als die kulleräugige Amélie. Nach der Zeremonie wurde Emmanuelle Devos von den »Améliphiles« ausgepfiffen.
Denn die Vergabe des Preises an Emmanuelle Devos ließ sich auch als Stinkefinger eingeschworener Cineasten an die Adresse bunter Filmmärchen interpretieren, die wie Amélie auf Schaulust und Oberflächenreize setzen. Devos, die nun in der Tragikomödie »Parfum des Lebens« als »Nase« und schroff-introvertierte Parfümeurin ihrem Chauffeur den letzten Nerv raubt, gilt seit jeher als eine Muse der »auteurs chic«. Sie ist, oft als faszinierend ungefälliger Charakter, Stammgast in Filmen, die auf Festivals ausgezeichnet und von Kritikern gefeiert werden, aber selten ins Ausland gelangen. Dort ist Devos, die im Laufe ihrer makellosen Karriere unter anderem mit zwei Césars und obendrein mit dem höchsten französischen Theaterpreis, dem Molière, ausgezeichnet wurde, bisher weitgehend unter dem Radar geblieben.
Das Theater ist denn auch die eigentliche Heimat von Devos, die, 1964 in einem Pariser Vorort geboren, als Tochter zweier Theaterschauspieler quasi in den Kulissen aufwuchs. Von klein auf jobbte sie als Statistin und bei anderen Hilfsarbeiten hinter Bühne und Kamera. Als Kind war sie fast krankhaft schüchtern und, wie sie sagt, »kaum fähig, Menschen in die Augen zu sehen«. Dennoch wusste sie früh, wo sie hinwollte, verehrte insbesondere Jeanne Moreau, die sie 1974 bei den Dreharbeiten für das Episodendrama »Lumière« kennengelernt hatte. Nachts betete sie, dass ihr Wachstum bei 1,70 m enden möge, hatte ihre Mutter doch ihrer ungewöhnlichen Körpergröße die Schuld an ihrer beruflichen Erfolglosigkeit zugeschrieben.
Emmanuelles eigener Weg ist dagegen von geradezu klassischer Geradlinigkeit. Mit 17 Jahren ließ sie das Abitur sausen, um Schauspielkurse beim renommierten Cours Florent und bald auch an der neu gegründeten Filmhochschule La Fémis zu nehmen. Dort fand sie Zugang in die Kreise künftiger Arthouse-Regisseure. Entdeckt wurde sie von der angehenden Filmemacherin Noémie Lvovsky, die ihr bescheinigte, ein Gesicht für Nahaufnahmen zu haben: mit großen offenen Augen, einem »zu großen« Mund, irritierend auf den ersten Blick, auf den zweiten Blick schön. Durch ihren Auftritt in Lvovskys erstem Kurzfilm wurde Arnaud Desplechin auf Devos aufmerksam. Beginnend mit seinem Regiedebüt, dem Kurzfilm »Das Leben der Toten« (1991), arbeitete sie in bis jetzt sechs Filmen mit ihm zusammen (der sechste, »Tromperie«, wird coronabedingt in Frankreich erst im Dezember 2021 anlaufen). Ihre dritte gemeinsame Arbeit, »Ich und meine Liebe« von 1996, spielt im Intellektuellenmilieu der Rive Gauche, im Zentrum steht ein Hochschulassistent (Mathieu Amalric) zwischen drei Frauen. Es ist die Sorte Film, die einmal als typisch französisch galt: über junge Akademiker, die im Café sitzen, rauchen und reden, und, in fast drei Stunden Filmdauer, weitschweifige Diskurse über Leben und die Liebe führen – letztlich aber, besonders die autobiografisch geprägte Hauptfigur, vor allem in sich selbst verliebt sind. Devos spielt die Dauerfreundin des Helden, die schließlich verlassen wird und wieder bei null anfangen muss. Als gebrochene romantische Heldin ist sie trotz passiv-aggressiver Tendenz die wahrhaftigste Figur dieses Liebesreigens und sicherte sich die Sympathie eines cinephilen Publikums. Es ist dieses markante Frauenporträt, glaubt Devos, das ihr den Weg zu Filmen wie Audiards »Lippenbekenntnisse« ebnete.
Devos' Paraderolle ist nicht die der niedlich-verletzlichen bis offensiven Verführerin oder der »starken Frau«, die mit ausgestellter Tapferkeit jede Herausforderung meistert. Sie verleiht ihren komplexen Filmcharakteren einen Eigensinn, der sich in unerwarteten, oft verstörenden Reaktionen äußert. Aufsehen erregte sie etwa wegen ihrer vordergründigen Kälte in Desplechins Beziehungsdrama »Das Leben ist seltsam« (2004) – ein weiteres episches Hin und Her, in dem Amalric und Devos erneut ein ehemaliges Paar spielen. In der Rolle der Nora – die von drei anderen Schauspielerinnen abgelehnt worden war – ist Devos eine anfangs selbstsichere Frau, die aus Vernunftgründen eine dritte Ehe mit einem reichen Mann eingehen möchte. Als ihr Vater, bei dem sie ihren kleinen Sohn zu parken hoffte, sich als todkrank erweist, will sie das Kind zu ihrem Ex bringen, der jedoch in der Psychiatrie landet. Die Handlung ist vielleicht unnötig kompliziert: Doch wie sich in verschachtelten Rückblenden und Katastrophen allmählich die Egoismen und Verletzungen der beiden Hauptfiguren herausschälen, ihre Zerrissenheit ans Tageslicht befördert wird, das ist auch großes Kino.
Devos erlebte in den feindseligen Reaktionen des Publikums auf Nora aber auch, wie schwer es ist, sich den Automatismen weiblicher Rollenvorbilder zu verweigern: »Da habe ich verstanden, dass man Frauen härter als Männer beurteilt. Als Frau soll man aufopfernd, weinerlich sein, am Ende abgestraft werden. Nora ist geheimnisvoll, und man verzeiht ihr dieses Geheimnis nicht.« So hat sie wie zum Beispiel auch Sandrine Bonnaire zur Veränderung des Bildes junger Frauen im französischen Film beigetragen. In ihren Auftritten vermeidet sie so gut es geht normative Vorgaben, etwa: weinen, wenn man leidet, lachen, wenn man glücklich ist.
Dieser emotionale Nonkonformismus prägt auch das Drama »Ceux qui restent« (2007), in dem sie es als Frau eines Krebskranken wagt, sich über ihr Schicksal zu beklagen, ihren Ekel angesichts der körperlichen Verheerungen bei ihrem Lebenspartner auszudrücken und sich gar im Krankenhaus in einen anderen Mann (Vincent Lindon) zu verlieben. Als Ehefrau im bizarren Psychodrama »La Moustache« (2005) ignoriert sie, dass ihr Mann – Lindon – sich seinen Schnurrbart abrasiert hat, was diesen in eine existenzielle Identitätskrise stürzt. In der traumähnlichen Logik des Films ist Devos freundlich und undurchsichtig, zugleich eine latent bedrohliche Präsenz.
Die viel beschäftigte Schauspielerin, die mit Regisseuren wie Alain Resnais, Tonie Marshall, Xavier Giannoli und Riad Sattouf zusammenarbeitete und die es daneben immer wieder auf die Theaterbühne zieht, bezeichnet sich selbstironisch als das »kleine Schwarze« des französischen Kinos: also als elegant-diskretes Kleid, passend für alle Gelegenheiten. Umgekehrt gilt dies aber nicht, denn schwerlich fände man für die Verkörperung von Violette Leduc in »Violette« (2013) von Martin Provost eine passendere Schauspielerin. In einem darstellerischen Wechselbad spielt sie die Schriftstellerin als eine Frau, deren abgrundtiefe Verzweiflung sie zu höchst indiskreten literarischen Höhenflügen treibt. Wenn Violette potenziellen Liebhabern und Liebhaberinnen laute Szenen macht, sich sklavisch der begehrten Mentorin Simone de Beauvoir unterwirft, erzeugt sie in ihrem übergriffigen Liebeshunger am laufenden Band Momente des Fremdschämens. Der Kontrast zur lehrerinnenhaften, kühlen Simone de Beauvoir (Sandrine Kiberlain) könnte nicht größer sein. Und doch fördert Violettes Raserei mehr Wesentliches über das Frausein zutage als die verkopfte Prosa von Beauvoir. Mit der Beschreibung einer fürchterlichen Abtreibung, die sie durchlitten hatte, brach Leduc ein Tabu. Im darauffolgenden Jahr verkörperte Devos am anderen Ende der Furienskala in dem Fernsehfilm »La loi« die Politikerin Simone Veil auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn, in jenen bewegten Tagen, in denen sie als Gesundheitsministerin dafür sorgte, dass Schwangerschaftsabbrüche legalisiert wurden. Die Politikerin, die schwere, auch antisemitische Anfeindungen scheinbar emotionslos über sich ergehen ließ, ist in gewisser Weise ein Echo von Devos' eigenem Selbstverständnis: »Man glaubt oft, dass Schauspielerinnen exhibitionistisch sind, wo es sich doch genau andersherum verhält. Man wählt das Schauspiel, um seine Gefühle hinter dem Text zu verstecken.«
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