Kritik zu Jungs bleiben Jungs
Eine andere Sorte Teenagerkomödie: Riad Sattouf belegt in seinem Regiedebüt, dass die Franzosen auch 30 Jahre nach »La Boum – Die Fete« einen ganz eigenen Blick auf die heiße Phase der Pubertät haben können
Close-up auf die Zunge des Mädchens, die sich in den Mund des Jungen gräbt, über dessen mitesserübersäte Backe gleitet und um die riesige, fettschillernde Nase kreist: Noch während die Titel eingeblendet werden, begibt sich die französische Teenagerkomödie »Jungs bleiben Jungs« mit dieser nahezu mikroskopischen Zungenkusssequenz direkt »in medias res«. Die übermächtigen erotischen Sehnsüchte männlicher Frühpubertät rückt Riad Sattouf mit unnachgiebiger Konsequenz in den Mittelpunkt seines vielversprechenden Spielfilmdebüts.
Auf der anderen Seite des Schulhofgitters verfolgen Hervé (Vincent Lacoste) und sein Freund Camel (Anthony Sonigo) mit heruntergeklappter Kinnlade das Treiben ihres Mitschülers. Als er an ihnen mit ungeübter Lässigkeit vorbeigehen will, bestürmen sie ihn mit Fragen. »Davon versteht ihr nichts«, antwortet er und lässt die beiden im Reich der Unwissenheit zurück.
Hervé ist vierzehn, sein Lockenkranz wuchert so unkoordiniert um seinen Kopf wie die Hormone in seinem zarten Körper. Mit jeder Faser seines Wesens sehnt er sich nach dem ersten Date mit einem Mädchen. Aber das weibliche Geschlecht kann grausam sein zu bedürftigen Jungen. Eine Mitschülerin mit »Augen so blau wie WC-Reiniger« verspricht ihm in der Pause die Erfüllung aller erotischen Wünsche, nur um ihn nach Schulschluss brüsk zurückweisen zu können. Und so bleibt nur die Flucht in die unendlichen Weiten der Masturbationsfantasien. Die nicht retuschierten Fotos im Miederwarenteil alter Versandhauskataloge stehen hoch im Kurs, aber auch der schemenhafte, halbnackte Anblick der Nachbarin im Neubaublock gegenüber. Zumindest solange die sehr alleinstehende und äußerst distanzlose Mutter (Noémie Lvovsky) nicht ins Zimmer hereinplatzt und zum protestierenden Sohn Sätze sagt wie: »Ich habe dich hier in meinem Bauch getragen – also her mit deiner Intimsphäre!«
Der Weg zur ersten Liebe ist gepflastert mit Missverständnissen – äußerst unterhaltsamen Missverständnissen, die Sattouf mit viel Aufmerksamkeit für das emotionale Detail in Szene setzt. Nach »LOL« zeigt »Jungs bleiben Jungs«, dass sich im französischen Kino dreißig Jahre nach »La Boom – Die Fete« das Genre der Teenagerkomödie erneut zu etablieren beginnt und man dort den Markt nicht den Verblödungsstrategien amerikanischer High-School-Comedys überlassen will. Die Komik speist sich hier vornehmlich aus dem genauen Blick für die pubertäre Realität, die die abgenutzten Schulhofklischees geschickt unterwandert. Den aufgesetzten Pipi-Kacka-Humor von »American Pie« hat »Jungs bleiben Jungs« jedenfalls nicht nötig. Ohnehin vermeidet Sattouf gezielt alle Anbiederungsversuche an vermeintliche Zielgruppen. Angestrengte Versuche, die aktuelle Jugendsprache nachzuahmen, bleiben ebenso außen vor wie Handys und MP3-Player. Das verleiht dem Film einen gewissen zeitlosen Schwebezustand, in dem sich die kompromisslos männliche Sicht auf den emotionalen Ausnahmezustand der Frühpubertät frei entfalten kann.
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