»Game of Thrones: The Winds of Winter« (S06E10)
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Zum Finale der sechsten Staffel »Game of Thrones« verkehren sich die Machtverhältnisse. Hauptfiguren wie Cersei, die vor einer Staffel ihren Tiefpunkt erreicht haben, wagen erneut den Aufstieg und sind in »The Winds of Winter« mächtiger als je zuvor: Die Königsmutter entledigt sich mit einem Schlag ihrer ganzen Feinde und besteigt den Eisernen Thron, der wiederbelebte Jon Snow wird in Winterfell zum neuen König im Norden ausgerufen, während Dany stark genug ist, die große Reise nach Westeros anzutreten
»The Winds of Winter« überzeugt als lang erwarteter Höhepunkt der sechsten Staffel und bleibt dem Zuschauer als das wahrscheinlich befriedigendste Finale der ganzen Serie im Gedächtnis. Sehnsüchte und Wünsche, die man zum Teil seit Beginn der Geschichte hegt, treten in Erfüllung, überfällige Rechnungen werden beglichen. Das long play der Erzählung belohnt den geduldigen Zuschauer mit ersten Payoffs: Bran lüftet das (offene) Geheimnis von Jons Mutter, Arya rächt die Red Wedding, Dorne wird endlich interessant und das mahnende Motto von Haus Stark Wirklichkeit: Winter is here.
Die zehnte Folge setzt den Kurs von »Battle of the Bastards« fort. Nach Meereen und Winterfell findet auch der letzte große Krisenherd seine spektakuläre Auflösung: Am Tag ihrer Verhandlung greift Cersei in King’s Landing zu äußersten Mitteln, um die Situation für sich zu entscheiden. Statt sich dem Urteil von sieben Gottesmännern auszusetzen, sprengt sie die ganze Sept durch unterirdisch gelagertes Wildfire in die Luft. Mit einem Weinkelch in der Hand und bekannt süffisantem Grinsen schaut Cersei zu, wie nicht nur der High Sparrow und seine Glaubensmiliz in grünen Flammen aufgeht, sondern auch der versammelte Hof, darunter Lord Mace Tyrell, Königin Margaery und ihr Onkel Kevan. Der anschließende Selbstmord von König Tommen, der im Anblick des grausigen Triumphs seiner Mutter aus dem Fenster springt, war nicht Teil des Plans, aber willkommener Umstand, um als Alleinherrscherin die Herrschaft über die Sieben Königreiche an sich zu reißen.
Bildgewaltig setzt Regisseur Miguel Sapochnik Cerseis coup de force in Szene. Der Fokus der Sequenz liegt dabei weniger auf ihrem schockierenden Ausgang – Dafür waren die Hinweise auf das nahende Inferno in vorangegangenen Folgen zu deutlich. Vielmehr verblüfft Sapochnik den Zuschauer mit einer spannungsgeladenen Ausführung der erwarteten Katastrophe. Montage, Kameraführung, nuanciertes Schauspiel und eine schicksalshafte Musikbegleitung aus Cello und Klavier steigern den Bilderfluss zum Sog, aus dem es kein Entkommen gibt. Mit jeder Sekunde, in der das Unheil näher rückt, bangt der Zuschauer, ob auch die Figuren die Zeichen noch rechtzeitig deuten, um der Todesgefahr zu entkommen. Hitchcock’scher Suspense in Reinform.
Der in dieser Staffel oft aufgebrachte Vorwurf der Vorhersehbarkeit wird zur Stärke. So auch bei Brans Vision, in der die in »Oathbreaker« angefangene Schlüsselszene am Tower of Joy vollendet wird. Der junge Ned Stark findet seine Schwester in blutigen Laken gehüllt, umgeben von Hebammen statt Kriegern. Lyanna Stark hat ein Kind geboren. Sterbend ringt sie ihrem Bruder ein Versprechen ab. Um jeden Preis soll er das Kind beschützen und seine Identität geheim halten. Ned hält das Baby hoch. Langsam öffnet es die dunklen Augen. Schnitt. Großaufnahme Jon Snow. Ah! Die wohl bekannteste Fan-Theorie ist endlich bestätigt: R+L=J. Jon Snow ist der Sohn von Rhaegar Targaryen und Lyanna Stark. Seine Herkunft war ebenso wie seine Auferstehung kein wirklicher Schock, doch um Längen besser inszeniert.
Valar Morghulis. Alle Menschen müssen sterben. Oder besser: Alle Männer müssen sterben. Mit dem Tod von Lord Mace Tyrell und Lord Walder Frey sind die letzten Patriarchen der großen Häuser verschwunden. Im Krieg um Westeros weichen nicht nur die Alten den Jungen, sondern auch die Männer den Frauen. Bezeichnenderweise umgibt sich Dany auf ihren Weg nach Westeros mit verletzten, „halben“ Männern und Eunuchen (Tyrion, Varys, Grey Worm, Theon) und lässt den wahren Macho Daario Naharis in Meereen zurück. Auch in Westeros bestehen ihre wichtigsten Verbündeten aus mächtigen Frauen: Ellaria Sand aus Dorne und eine verbitterte Lady Olenna Tyrell.
Die Zukunft von Westeros gehört den Frauen. Durch das Ablösen der Generationen und Geschlechter wird Westeros progressiver, aber nicht unbedingt besser. Cerseis Machtergreifung ereignet sich zu einem Punkt, an dem ihr Charakter das Maximum an Boshaftigkeit erreicht hat. Auch Aryas Zukunft ist in Blut geschrieben. Zurück in Westeros streicht sie gleich den ersten Namen von ihrer langen Todesliste und ermordet Lord Walder Frey für die Verbrechen der Red Wedding. Bleibt abzuwarten, wie sich Daenerys Targaryen bei ihrer Landung in Westeros schlagen wird. Bevor das Bild ihrer riesigen Armada und den darüber gleitenden Drachen das Staffelfinale vielversprechend ausklingen lässt, beweist Dany ihre wahre Größe in einer rührenden Szene mit Tyrion. Im Thronsaal begegnet sie dem Gnom auf Augenhöhe. Wir erleben sie nicht als abgehärtete Eroberin, sondern als ein verletzliches, unsicheres Mädchen, das die Hilfe eines guten Freundes bedarf. Wie gut, dass sie sich auf das Vertrauen ihrer neuen rechten Hand verlassen kann.
In zwei verkürzten Staffeln wollen Benioff und Weiss die Erzählung von »Game of Thrones« zu Ende bringen. Erste Ermüdungserscheinungen machen sich bei ihnen bemerkbar. Nach den vielen Überraschungen, Ablenkungen und falschen Fährten in den vorherigen Staffeln marschiert die Handlung stramm auf ein klares Ziel zu, alles passiert wie erwartet. Ist das Ende der Geschichte doch nicht so kompliziert, wie frühere Staffeln uns glauben ließen? Oder haben die Fans die Tricks der Serie längst durchschaut? Ob nun überraschend oder nicht, solange sich die Macher auf eine spannende Inszenierung wie in der King’s Landing-Sequenz setzen und wir weiterhin so wundervolle, emotionale Momente bekommen wie der zwischen Dany und Tyrion, darf man mit allem zufrieden sein.
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