Game of Thrones: Book of the Stranger (S06E04)
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Tyrion handelt mit den Meistern der Sklavenbucht in Meereen einen fragilen Frieden aus. In Westeros ist Krieg vom Ausnahmezustand zum Status Quo geworden. Im Kampf gegen unüberwindbare Feindbilder vermehren die Mächtigen nur die Gewalt, statt sie stoppen.
Die Lannisters verbünden sich mit den Tyrells, um die Sparrows aus King’s Landing zu vertreiben. Sansa vereint sich an der Mauer mit Jon, Littlefinger will die Lords der Vale gegen Winterfell mobilisieren und in Vaes Dothrak entfacht Dany das größte Feuer, das der Osten je gesehen hat. »Book of the Stranger« ist voller widersprüchlicher Versprechungen: Versprechungen auf Frieden und Krieg, auf Wiederherstellung und Veränderung. In geänderter Aufstellung schließen die Figuren von »Game of Thrones« neue Allianzen und verfolgen neue Pläne – mit altbewährten Mitteln. Der Titel der Episode verweist auf eine Passage innerhalb des Seven-Pointed Stars, die dem Stranger gewidmet ist. Er ist die göttliche Personifikation des Todes, der wohl beschäftigste Gott in Westeros.
Emotionaler Höhepunkt der Folge bildet zweifellos das Wiedersehen zwischen Sansa und Jon. Zum ersten Mal seit fünf Staffeln treffen zwei Stark-Kinder aufeinander. Ein herzerwärmender Moment und seltener Lichtblick in der düsteren Welt von Westeros, der zugleich zeigt, wie sehr sich die Kinder von damals durch ihr Leid veränderten. Sansa und Jon begegnen sich an einem spannenden Punkt in ihrer Charakterentwicklung: Sie will Rache an ihren Peinigern nehmen und die Ehre ihres Hauses wiederherstellen, während er sich geschlagen aus allem zurückzieht. Erst die Sorge um seinen Bruder Rickon, der sich in Ramsays Händen befindet, kann den Ex-Commander der Nachtwache dazu bewegen, den Kampf wieder aufzunehmen.
Neben der Wiedervereinigung von Sansa und Jon fallen sich in »Book of the Stranger« gleich zwei weitere Geschwisterpaare nach langer Trennung in die Arme. In der Begegnung von Bruder und Schwester manifestiert sich dabei jedes Mal die Gegenüberstellung von schwachen Männern und starken Frauen. So muss die tapfere Margaery Tyrell in den Zellen der Sparrows feststellen, dass sie die Gefangenschaft besser wegsteckt als ihr geschundener Bruder Loras. Auf den Iron Islands kehrt Theon nach Pyke zurück und schwört seiner Schwester Yara Treue und Beistand um die Herrschaft über die Ironborn.
Trotz manch fragwürdiger Zurschaustellung weiblicher Sexualität bleibt »Game of Thrones« doch seiner Buchvorlage treu, das mittelalterliche Fantasy-Genre durch starke, unabhängige Frauencharaktere aufzumischen. Tatsächlich sind die weiblichen Charaktere der Serie ihren männlichen Konterparts ebenwürdig, wenn nicht überlegen. Deutlichste Verkörperung dieser Empowerment ist die Figur der Daenerys Targaryen. Nachdem ihre erstaunliche Entwicklung vom ohnmächtigen Rehlein zur omnipotenten Drachenmutter in letzter Zeit etwas stagnierte, gelingt ihr in »Book of the Stranger« ein neuer Coup.
Aus einer völlig machtlosen Position heraus bezwingt die khaleesi in Vaes Dothrak ihre Gegner, ganz ohne die Hilfe ihrer Drachen oder der beiden Haudegen Daario und Ser Jorah. Danys Stärke ist ihre Unabhängigkeit. Selbstbewusst tritt die Drachenkönigin vor die Anführer der Dothrakis und macht ihnen ihre Herrschaft streitig: »You are small men. None of you are fit to lead the Dothraki. But I am. So I will.« Höhnendes Gelächter. Was will denn so ein kleines Frauchen gegen uns Muskelmänner ausrichten? Dany grinst. Mit gezielten Schlägen stößt sie die Feuerschalen um und lässt den Tempel mitsamt der Führungsriege der Dothraki in Flammen aufgehen. Todesschreie erfüllen die Luft, während die Drachenkönigin völlig unversehrt dem lodernden Inferno entsteigt.
Fire and Blood. Daenerys ist in den Flammen zum zweiten Mal neugeboren worden. Doch verspricht ihr neues Ich die alten Fehler zu machen: Umringt von einem Heer von Dothrakis, wird die Breaker of Chains als Eroberin nach Meereen zurückkehren und die einzige realistische Chance auf Frieden, die Tyrion aushandelte, zerstören. Dabei war es die Drachenmutter, die versprach, das Rad zu brechen, statt weiter am Laufen zu halten.
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