Kritik zu Geständnisse
Die Rache einer Mutter, deren Kind getötet wurde: Tetsuya Nakashima (Kamikaze Girls) macht aus dem gleichnamigen Mysteryroman von Kanae Minato einen atemberaubenden, verstörenden Thriller
Um mit Hamlet zu sprechen: Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut. Dafür stehen die Wolken zu düster am Himmel, die Masakazu Atos und Atsushi Ozawas Kamera aufnimmt. Und auch die japanische Mittelschule in Tetsuya Nakashimas Film Geständnisse erscheint trotz des Trubels und der Streiche als in Grautönen ausgemalte Zwischenwelt. Die Zeichen stehen von Anfang an auf Katastrophe. Dabei spricht die Lehrerin Yuko Moriguchi (Takako Matsu) mit sanfter Stimme zu ihren Schülern aus der siebten Klasse. Scheinbar emotionslos berichtet sie vom Tod ihrer vierjährigen Tochter. Sie sei das Opfer zweier Schüler, die sie A und B nennt. »Ihr könnt töten, ohne bestraft zu werden«, erklärt Moriguchi, während draußen der Regen in Zeitlupe vom Himmel fällt. Kinder unter 14 könnten strafrechtlich nicht belangt werden.
Doch, fährt die Lehrerin fort, es gebe eine höhere Gerechtigkeit, und deren Instrument wolle sie sein. Sie habe den beiden Schuldigen HIV-positives Blut in die Schulmilch gemischt. Mit dem Bewusstsein des eigenen Todes müssten sie nun weiterleben. Rund 30 Minuten dauert das Martyrium für Lehrerin, Schüler und Kinopublikum. Nakashima, bei uns bekannt durch Kamikaze Girls (2004) und Memories Of Matsuko (2006), rekonstruiert den Fall mit kurzen Rückblenden. Aber es ist paradoxerweise die Macht des Wortes, die den Beginn des Films so aufregend macht. Er erzählt die Geschichte von Menschen, die jeder auf seine Weise schuldig werden, besser: schuldig werden wollen. Denn sie wissen, was sie tun. Die Lehrerin beginnt einen Psychokrieg mit den Jungen Shuya und Naoki, die von Yukito Nishii und Kaoru Fujiwara als fernöstliche frühreife Raskolnikows gespielt werden. Ihre Grausamkeit wird nur noch von ihrer amoralischen Intellektualität und mörderischen Gerissenheit übertroffen.
Die psychischen Zustände der Figuren übersetzt der Regisseur in hochpoetische, bisweilen alptraumhaft bizarre Bilder. Geständnisse ist ein Filmgedicht, mit ganz eigenen Blumen des Bösen. Frühling, Flora und Kirschblüte in Farbe konkurrieren mit unheilvoller Bewölkung und bedrohlichen Kamerafahrten durch leere Flure. Nakashima kennt seinen David Lynch. Manche Szenen erscheinen wie musikvideohafte Elegien, Visionen zur Musik von Händel und Bach. Höhepunkt der perfekten musikalischen Untermalung: der Song »Lost Flowers« von Radiohead.
Tetsuya Nakashima schafft es, das Publikum 106 Minuten lang zu fesseln, kein Entkommen möglich. Dabei treffen die Ästhetisierung des Falls und die Gefühlskälte der Protagonisten mitten ins Herz. Mit keiner der Figuren wird man warm. Moriguchi wird verzweifeltes Opfer ihrer eigenen Vendetta, Shuya und Naoki entwickeln monströse Züge. Der eine schließt sich in seinem Zimmer ein und reduziert seine Existenz auf ein animalisches Niveau. Der andere entwickelt sich immer mehr zu einer tickenden Zeitbombe. Der Film bietet Erklärungsansätze, doch mildernde Umstände gönnt er seinen Figuren nicht. Am Ende scheint zwar in Moriguchis Worten so etwas wie Gnade und Vergebung zu liegen. Doch die rachsüchtige Mater dolorosa stellt klar: »War nur ein Witz.«
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