Kritik zu Blue Jasmine
In »Blue Jasmine« erzählt Woody Allen von einer Park-Avenue-Gattin, die von ihrem Mann betrogen wird und an die Westküste flüchtet. Ein Neustart?
Eine Wohnung in New Yorks Park Avenue, ein Sommerhaus in den Hamptons, ein Chalet in den Bergen, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Poloturniere, opulente Partys, feine Kleider, Schmuck, ein wohlhabender Mann, der sie verwöhnte – Jasmine (Cate Blanchett) hatte all das und mehr. Wenn wir sie das erste Mal sehen, ist sie zwar pleite und »down«, aber sie parliert immer noch mit großem Selbstvertrauen und großer Verve (wenn auch ein bisschen zu intensiv), fliegt immer noch erster Klasse. Auch ihr äußeres Erscheinungsbild entspricht immer noch der Grande Dame, für die sie gehalten werden will: Tasche und Gürtel von Hermès, die Jacke von Chanel, die Schuhe von Vivier und das Gepäck natürlich von Louis Vuitton. Schaut man allerdings über die Statussymbole hinweg und etwas genauer hin, kann man bereits das Ende vom Anfang erkennen – die Nägel sind nicht mehr manikürt, der Haaransatz zeigt dunkle Wurzeln. In Blue Jasmine zeigen Woody Allen und seine brillante Hauptdarstellerin Cate Blanchett eine Frau, die nicht am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht, sondern bereits mittendrin steckt, darin einer anderen großen Verwirrten, der Blanche aus dem Theaterstück »Endstation Sehnsucht«, verwandt.
Nachdem Jasmines Mann Hal (Alec Baldwin) sie betrogen hat und dann des Betrugs in Millionenhöhe überführt und auf offener Strasse verhaftet worden ist, hat sie nicht nur Geld und Status verloren, sondern auch den Boden unter den Füßen. Mit blanken Nerven, mittellos und ohne wirkliche Perspektive sucht Jasmine bei ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco Unterschlupf. Sie will hier noch einmal von neuem beginnen. Aber sie bringt nicht nur ihre feinen Koffer mit (die nicht das einzige sind, was in Gingers bescheidenem Apartment deplatziert wirkt), sondern auch ihre Vergangenheit, ihre überhöhten Ansprüche, ihre Ressentiments und ihren Hang zu Wodka und Psychopharmaka.
Das kann nicht gutgehen. Ein neuer Job als Praxisgehilfin bei einem Zahnarzt ist Jasmine zu banal, der Zahnarzt selbst (Michael Stuhlbarg) zudringlich, die Kinder ihrer Schwester sind zu laut, die Martinis zu klein, und Chili (Bobby Cannavale), Gingers neuer Freund zu derb, zu dumm, ein Versager. Die beengten Verhältnisse ihrer neuen Realität kann Jasmine nur ertragen, wenn sie sich auf verschiedene Weisen betäubt – Wodka, Xanax – alles, nur um nicht in der Gegenwart leben zu müssen.
Wie in einer Zeitreise durchlebt sie immer wieder Szenen ihrer Vergangenheit. Allen nimmt uns dann übergangslos mit zu diesen Schauplätzen – gerade waren wir noch in einer engen Flugzeugkabine oder in der schmuddeligen Küche eines beengten Apartments, schon laufen wir mit Jasmine und Hal durch eine weitläufige Villa oder sitzen an einer aufwendig gedeckten Tafel mit eleganten Menschen. Für Jasmine sind die Übergänge nicht einfach. Wenn sie aus diesen Ausflügen in das Gestern wieder auftaucht, steht sie plötzlich erneut in der Gegenwart, in San Francisco, an einer Straßenecke oder auf einer Party neben zwei älteren Herren und führt, zur Verwunderung ihrer Umwelt, Selbstgespräche mit ihrer imaginierten Vergangenheit.
Das klingt komisch, ist es aber nicht. Blue Jasmine ist keine Komödie. Es ist, wie Allen seiner Hauptdarstellerin während der Dreharbeiten sagte, »ein ernster Film«. Dass er unterhaltsam ist, verdankt er dem wunderbaren Ensemble, allen voran Cate Blanchett, die wirklich alle Register ihrer Schauspielkunst zieht. Obwohl einem die Figur nicht sympathisch wird, sieht man dennoch gebannt zu, wie sie angewidert auf die Wohnung ihrer Schwester blickt, wie sie sich den x-ten »Stolni« einschenkt oder mit zitternden Händen die Pillendose aufschraubt, um eine »Xanax« einzuwerfen. Wie sie unter der Enge und Hitze des Apartments leidet und die Schweißflecken auf ihren Seidenblusen immer größer werden, wie die Wimperntusche unter den Augen verschmiert. Wie sie einfach von allem genug hat. Und wie sie aufblüht, als sie endlich auf einer Party einen Möchtegerndiplomaten (Peter Sarsgaard) kennenlernt, der in ihr seine potenzielle First Lady sieht. Sie greift nach diesem Strohhalm wie eine Ertrinkende und fabriziert eine passende Biografie, die es zwar fürs Erste tut, die aber einfach nicht halten kann.
Schon Jasmines altes Leben, das Allen und Blanchett mit allen Attributen von Glitz und Gamour zeigen, ist ein hohles Gebilde, auf Betrug und Lügen aufgebaut. Drei Mal erzählt Jasmine, wie sie von Hal im Sturm erobert wurde. »Blue Moon« habe dabei im Hintergrund gespielt, sie aalt sich in der Erinnerung. Hal sagt darauf auf einer Party, er habe sich sofort in den Namen »Jasmine« verliebt. Er weiß offenbar nicht, dass Jasmine sich diesen Namen nur gegeben hat, weil sie fand, ihr richtiger Name Jeanette habe kein »Panaschee«, keinen Schwung, nicht den richtigen Klang.
Am Ende sitzt Jasmine/Jeanette auf einer Bank, frisch geduscht, im Chanel-Jäckchen, mit noch nassem Haar seltsam derangiert und spricht wieder mit sich selbst. Die Zeiten, in denen sie auf die Freundlichkeit von wohlhabenden Männern zählen konnte, sind vorbei, und auch die fremde Frau, die auf der Bank neben ihr sitzt, rückt lieber beiseite. San Francisco ist Jasmines Endstation.
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