Kritik zu Meine Schwestern
Lars Kraume erzählt in seinem 2013 auf der Berlinale vorgestellten Film von den letzten Tagen einer Frau vor ihrer entscheidenden Herzoperation: Mit ihren beiden Schwestern verbringt sie ein paar Tage an der Nordsee und in Paris
Zwei Pfleger fahren eine Tote auf dem Bett durch die Gänge eines Krankenhauses, sie heben sie auf eine Bahre und in das Regal des Leichenaufbewahrungsraums im Keller. Eigentlich sollte sie nur 3 Monate leben, meldet sich Lindas Stimme aus dem Off zu Wort, wegen ihrem angeborenen Herzfehler, nun sind es doch 30 Jahre geworden.
Wer so radikal mit dem Ende seines Films beginnt, muss danach noch viel zu erzählen haben. Meine Schwestern ist so etwas wie eine Rede aus dem Grab heraus, ein Rückblick auf die letzten Tage vor ihrer Operation. Und er ist auch eine Reise in die Vergangenheit, die sich immer wieder in die Gegenwart drängt. Linda (Jördis Triebel) überredet ihre Schwestern Katharina (Nina Kunzendorf) und Clara (Lisa Hagmeister), in den früheren Ferienort der Familie zu fahren, in ihr altes Ferienhaus in Tating an der Nordseeküste. Zurückhaltend beobachtet Lars Kraume das geschwisterliche Dreieck, bis sich langsam die Strukturen herausschälen: Katharina, die älteste, ist auch die handfeste, pragmatische, bestimmende, Clara, die jüngste, das Nesthäkchen, die Träumerin. In Beziehungen ist bei dreien manchmal eine zuviel, und wir merken, dass Clara auch gelitten hat unter der Nähe der beiden Älteren. Und man realisiert auch, dass Lindas Krankheit auch das Verhältnis der Schwestern untereinander bestimmt hat; oft verliert Linda das Bewusstsein.
Sie machen Blödsinn an der See, bemalen ihre Gesichter, treffen ihre Bekanntschaften aus dem Ort wieder. Aber nie erzählt Lars Kraume mehr über seine Figuren, als wir unbedingt wissen müssen. Was war mit Katharina und Malte, den sie auf einer Party küsst?
Ganz spontan fahren sie nach Paris, zu Onkel Daniel (Ernst Stötzner) und Tante Leonie (Angela Winkler). Die Weite der Nordsee geht über in die endlose, sonnendurchtränkte Silhouette der Großstadt. Daniel ist Claras Lieblingsonkel, aber beim Fest büxt Linda aus, streunt durch die nächtliche Stadt. Auf einer Bank setzt sich eine Frau neben sie. Béatrice Dalle mit ihren schwarzen Klamotten gibt sie als einen fahlen Todesengel. Sie rennen auf die in der Nacht strahlende Kirche Sacré-Coeur, die wie eine Vorstellung vom Himmel über der Stadt throhnt. Fast wie auf einem Kreuzweg erklimmt Linda mit Mühen die vielen Stufen. Als Daniel sie am nächsten Morgen und nach einer verzweifelten Suche abholt, fragt sie ihn, ob er an Gott glaubt. Eigentlich nicht, sagt er. Sie schon, erwidert sie.
Meine Schwestern handelt vom Abschiednehmen und vom Tod, der immer über den Schwestern geschwebt hat. Aber er kommt nicht als ein seifiges Sterbe-Drama daher, wie man es ein paar Mal in der letzten Zeit im deutschen Kino gesehen hat. Die beiden Schwestern werden Linda zu ihrer letzten Operation begleiten. Eine melancholische Grundstimmung liegt über diesem leisen, intensiven, unaufgeregten Film, sicherlich, aber genauso wie vom Sterben erzählt er vom Vertrauen und von der Liebe, die über Jahrzehnte gehalten hat.
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