Interview: Saoirse Ronan über »The Outrun«

»The Outrun« (2023). © Studiocanal / The Outrun Ltd.

© Studiocanal / The Outrun Ltd.

Ms. Ronan, Sie spielen in »The Outrun« nicht nur die Hauptrolle, Sie haben den Film auch mitproduziert. Was reizte Sie an den Memoiren von Amy Liptrot, dass Sie sich die Filmrechte an dem Buch sicherten?

Saoirse Ronan: Neben der Thematik, zu der ich einen persönlichen Bezug habe, und Amys sehr persönlicher Beschreibung ihres Kampfes gegen die Alkoholsucht begeisterte mich schon beim ersten Lesen vor vielen Jahren die narrative Struktur des Buches. In einem Moment beschreibt sie, wie sie in ihrer Kindheit auf den Orkneyinseln zusammen mit ihrem Bruder einem Lamm hinterherjagt. Im nächsten erinnert sie der Windstoß, den sie dabei im Gesicht spürt, an den Schlag ihres Angreifers Jahre später, bevor der versuchte, sie zu vergewaltigen. Als Erzählerin und Protagonistin reißt sie einen hin und her – und blickt dabei sehr emotional und poetisch auf das eigene Leben. 

Nicht alles davon lässt sich ohne weiteres in einen Film übertragen . . .

Nein, aber den Kern sowohl ihrer Person als auch ihres erzählerischen Stils haben wir nie aus den Augen verloren. Das Wichtigste war für uns, dass »The Outrun« sehr individuelle Erfahrungen einfängt. Es ist eben nicht eine exemplarische Suchtgeschichte, sondern ihre ganz eigene, einzigartige, in der es um viel mehr geht als ums Trockenwerden.

Im Film heißt die Figur nun Rona. Spürten Sie trotzdem einen gewissen Druck beim Verkörpern einer realen Person?

Wenn man real existierende Menschen spielt, geht damit immer eine Verantwortung einher, und hier habe ich die als besonders groß empfunden. Weil Amy so viel durchgemacht und das so offenherzig mit der Welt geteilt hat. Aber auch, weil sie ja immer noch eine ziemlich junge Frau ist und zwei Kinder und ihre Eltern hat. All das wollten wir gleichzeitig ehren und schützen. Ich konnte mich ihr als Figur nur mit solcher Intensität annehmen, weil sie selbst das Filmprojekt mit so viel Hingabe unterstützt hat und uns allen hinreichend künstlerische Freiräume einräumte.

Sie haben auch an Originalschauplätzen gedreht.

Oh ja. Die kleine Hütte auf Papa Westray ist die gleiche, in der Amy gelebt und mit der Arbeit an ihrem Buch begonnen hat. Die Farm, auf der wir gedreht haben, ist die, auf der sie aufgewachsen ist. Orkney ist nicht groß, also wird sie auch oft in dem Café gesessen haben, in dem ich für den Film saß. Und diverse Menschen, mit denen sie aufgewachsen ist, waren bei uns als Statisten dabei. Das war schon eine sehr besondere Verschmelzung von Realität und Fiktion.

Wichtig für den Film sind auch die Natur, die Landschaft und das Wetter auf den Orkneyinseln. Wie war es, all das hautnah zu erleben?

Ich fand dieses raue Klima ziemlich großartig. Was natürlich viel damit zu tun hat, dass es in dem ländlichen Teil von Irland, wo ich aufgewachsen bin, recht ähnlich war. Da haben wir schon Winterbaden im eiskalten Meer gemacht, lange bevor es zum Trend wurde. Ich bin in der Natur und zwischen Tieren groß geworden, fernab von großen Menschenmengen. Eine Rolle, für die ich ziemlich wenige Leute um mich haben musste und sogar mit den Seehunden schwimmen durfte, war also genau das Richtige für mich.

Sie sagten eingangs, dass Sie einen persönlichen Bezug zur Thematik von »The Outrun« haben. Meinen Sie damit die Alkoholsucht?

Es gibt in meinem engsten Umfeld ein paar Menschen, die darunter gelitten haben. Ich wollte diese Rolle unbedingt spielen, weil ich an einem Punkt in meinem Leben angekommen war, wo ich mehr wissen wollte über die Perspektive des Süchtigen. Ich ahnte, dass die Auseinandersetzung damit auch eine kathartische Wirkung für mich selbst haben könnte – und genau so war es dann auch. Womit einherging, dass es während der Dreharbeiten einige Momente gab, in denen ich mich etwas überwältigt fühlte, was mir sonst eher nicht passiert.

Wird Alkoholismus als Thema zu wenig ernst genommen?

Es ist auf jeden Fall ein riesiges Problem. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in Irland und Großbritannien gibt es einen ziemlich großen gesellschaftlichen Druck zu trinken. Wenn man es nicht tut, gilt man als Spaßverderber. Von den knallenden Champagnerkorken zu Weihnachten und Geburtstagen bis zur guten Flasche Wein beim Abendessen mit Freunden sind alle besonderen Ereignisse in unserem Leben mit Alkohol assoziiert. In meiner Generation fangen wir gerade an zu begreifen, was das für Folgen für unsere mentale Gesundheit und unsere Beziehungen haben kann. Einfach, weil wir verstärkt darüber sprechen, wie es um unsere Psyche bestellt ist und dass wir besser auf uns selbst aufpassen müssen. Aber in vielerlei Hinsicht ist das natürlich zu spät.

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