Kritik zu The Outrun

© Studiocanal

Mit einer brillanten Saoirse Ronan in der Hauptrolle entwirft die ­deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt das intensive Porträt einer Alkoholikerin, die in der Einsamkeit der schottischen Orkneyinseln wieder zu sich findet

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Raue Küstenlandschaften und ein tosendes Meer – mit betörenden Bildern von Naturgewalten zieht »The Outrun« in ein Thema hinein, das nicht betörend, aber ebenso mächtig ist: die Alkoholsucht. Hauptfigur Rona (Saoirse Ronan) ist ihr erlegen und versucht, sich nach einem Entzug mühsam zurück ins Leben zu kämpfen. Hierfür ist sie nach Jahren in ihre Heimat, die Orkneyinseln an der Spitze Schottlands, zurückgekehrt, wo sie bei ihrer Mutter wohnt und ihrem Vater auf seiner Schaffarm hilft.

Wie bereits bei »Systemsprenger« beweist Nora Fingscheidt in ihrem neuen Film ihr Gespür für das zehrende Auf und Ab eines krisengeschüttelten Menschen. »Es wird niemals leicht, nur weniger schwer«, sagt ein Teilnehmer der Anonymen Alkoholiker, der seit mehreren Jahren trocken ist. Für Rona ist es bis dahin noch ein steiniger Weg. Ihr ständiger Gebrauch von Cola und Zigaretten quasi als Ersatzdrogen macht deutlich, wie schwer ihr der Verzicht auf Alkohol fällt. Lärm und Hektik überfordern sie zunächst ebenso wie die reine Natur, in der sie ihre Sinne mit wummernden Bässen aus ihren Kopfhörern betäubt. Beständig blendet der Film die steigende Anzahl der Tage ein, die Rona trocken ist, ehe die Anzeige nach einem Rückfall wieder bei null beginnt. 

»The Outrun« basiert auf dem gleichnamigen autofiktionalen Roman (deutsch »Nachtlichter«) der Journalistin Amy Liptrot, die auch am Drehbuch des Films beteiligt war. Der Film erzählt die Geschichte in verschiedenen Zeitabschnitten. Neben der Haupthandlung auf den Orkneyinseln entfalten Rückblenden die Zeit vor dem Entzug. Rona hat in London Biologie studiert und an einem Institut gearbeitet. Doch die Alkoholsucht zerstört ihr Leben. Auch ihre große Liebe Daynin (Paapa Essiedu) trennt sich irgendwann von ihr. Erst als sie sturzbetrunken nach einem Barbesuch misshandelt wird, begibt Rona sich in Therapie. Die Rückblenden wirken wie Erinnerungsfetzen und folgen keiner klaren Chronologie; nur Ronas wechselnde Haarfarben geben etwas zeitliche Orientierung. Die grellen Lichter der Nachtclubs und die analog zu Ronas Zustand verschwimmenden Bilder sind ein harter Kontrast zu den Aufnahmen der schottischen Landschaft. Als weitere Ebene fungieren Voice-overs, in denen Rona, teils untermalt von Archivaufnahmen und Animationen, von naturwissenschaftlichem Wissen und mythischen Legenden erzählt. Auf spielerische Weise vermitteln diese Einschübe ein Gefühl für Ronas innere Welt, die sowohl von rationalen Überlegungen als auch von Spiritualität geprägt ist. Verbunden wird das alles von einem wuchtigen Soundtrack, der sich mal in die Klänge der Natur, mal in die elektronische Clubmusik integriert.

»The Outrun« ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Film über Alkoholismus: ästhetisch ansprechend, nahbar und vollkommen wertfrei. Die Alkoholsucht ist hier nur ein Teil eines intensiven Personenporträts. Zu diesem gehört auch die Aufarbeitung von Ronas Familiengeschichte: Ihr Vater leidet an einer bipolaren Störung, ihre Mutter hat sich ganz der Religion zugewandt und von der Familie distanziert. Zum entscheidenden Genesungsschritt wird der Aufenthalt auf der kleinen Insel Papa Westray, wo Rona den Winter in einer winzigen Hütte verbringt, Anschluss an die Inselgemeinschaft findet und eine neue Verbindung zur Natur aufbaut. Dass die Erzählung funktioniert, liegt insbesondere an der brillanten Darstellung von Saoirse Ronan, die Ronas Gefühlszustände in einem steten Fluss aus Wut, Scham, Trauer und Melancholie zeigt. Authentisch ist auch die Darstellung des Alkoholrauschs, bei dem ausgelassene Ekstase und überdrehte Albernheit in Aggressivität und Kontrollverlust umschlagen. Trotz aller Abgründe sieht man hier aber auch eine Lebensfreude, die Rona nach ihrem Entzug erst mühsam wiedererlangen muss. Ohne die Dinge als allzu einfach darzustellen, endet »The Outrun« mit einem gänzlich alkoholfreien, hoffnungsvollen Rausch.

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