Kritik zu Citizenfour
Die in Berlin lebende Amerikanerin Laura Poitras hat Edward Snowden in den Tagen seiner Enthüllungen im Juni 2013 in Hongkong gefilmt
Wie oft ist die Rede von historischen Momenten, von Augenblicken, in denen Geschichte geschrieben wird. Doch wer erlebt diese Momente schon aus nächster Nähe? Vor diesem Hintergrund wirkt Laura Poitras’ Dokumentation geradezu sensationell. Sie rekonstruiert nicht nur einen historischen Augenblick. Sie führt den Betrachter direkt ins Zentrum des Geschehens und lässt ihn an den epochalen Ereignissen zumindest bis zu einem gewissen Punkt teilhaben.
Im Juni 2013 haben sich Poitras, die zuvor schon mit Irak – Mein fremdes Land und Der Eid – Einblicke in das Al-Kaida-Netzwerk zwei vielbeachtete Dokumentationen über die Welt nach dem 11. September 2001 gedreht hat, und der Journalist Glenn Greenwald in Hongkong mit dem Whistleblower Edward Snowden getroffen. Der hatte zuvor unter dem Pseudonym »Citizenfour« mit der Filmemacherin Kontakt aufgenommen und ihr im Lauf einer verschlüsselten E-Mail-Korrespondenz Dokumente versprochen, die beweisen, dass die NSA jeden US-Bürger ausspäht. Während der acht Tage, an denen Snowden neben Poitras und Greenwald auch den britischen Journalisten Ewen MacAskill in seinem Hotelzimmer empfangen und die von ihm gesammelten Informationen erläutert hat, lief die Kamera immer wieder mit.
Snowdens Enthüllungen, die schließlich darin gipfeln, dass er selbst an die Öffentlichkeit geht und sich offenbart, erschüttern in diesen Tagen die Welt. Sie verändern die öffentliche Wahrnehmung. Ein bisher eher vages Gefühl von Paranoia schlägt in Gewissheit um. Die eigentliche Paranoia liegt auf staatlicher Seite und hat eine neue Realität geschaffen. Trotzdem wirkt Poitras’ Dokumentation, die ganz nah an den Ereignissen dran ist, auf eine irritierende Weise distanziert und kühl.
Vielleicht liegt es daran, dass Poitras mit aller Macht versucht, Snowden nicht zu heroisieren. Vielleicht aber auch daran, dass abgesehen von einigen Bildern, die einen stillen, sein eigenes Handeln immer wieder reflektierenden Snowden zeigen, kaum etwas wirklich neu ist. Die kurzen Auftritte von Julian Assange und Jacob Appelbaum haben fast etwas Pflichtschuldiges. Und selbst die Momente, in denen Poitras mit dem ehemaligen NSA-Entwickler William Binney einen zweiten Kritiker der allgegenwärtigen Überwachungsmaschinerie ins Feld führt, bleiben sehr sachlich.
Citizenfour provoziert keinen Aufstand. Man kann sich nicht einmal sicher sein, ob die Geschichte eines Einzelnen, der sich gegen die Macht stellt, tatsächlich so etwas wie Vorbildcharakter erhält. Obwohl Laura Poitras selbst immer wieder überwacht wurde und deswegen nach Berlin gezogen ist, werden der Schrecken und die Gefahren einer kafkaesk gewordenen Realität, in der die NSA und andere Geheimdienste praktisch die gesamte Menschheit unter Generalverdacht stellen, kaum greifbar. Den größten Eindruck hinterlassen letztlich kleine Details und Randbeobachtungen, etwa der Moment, in dem Edward Snowden bewusst wird, dass das Festnetztelefon in seinem Hotelzimmer durchaus auch benutzt werden könnte, um ihn abzuhören.
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