Kritik zu Der schöne Sommer
Angelehnt an den gleichnamigen Roman des italienischen Autors Cesare Pavese erzählt die italienische Regisseurin Laura Luchetti vom mühsamen Selbstfindungsprozess einer jungen Frau vom Land im Turin des Jahres 1938
Der schöne Sommer endet mit Bildern einer verschneiten Turiner Straßenschlucht, in deren Mitte die 17-jährige Ginia (Yile Yara Vianello) einem ungewissen Ziel entgegenschreitet. So schön wie es der Titel »La Bella Estate« verheißt, war dieser Sommer für sie nicht. Um ihren Bruder in seinem Jurastudium zu unterstützen, arbeitet die talentierte Modeschneiderin im Atelier der Signora Gemma (Anna Bellato). Trotz der beruflichen Anerkennung ist das Leben der jungen Frau in eine Sackgasse geraten: »Ich möchte, dass mich jemand ansieht und mir sagt, wer ich bin.«
Über ihren Bruder, der sein Studium nicht allzu ernst nimmt, kommt sie in Kontakt mit einer Gruppe junger Maler. Bei einer Feier an einem See entsteigt dem Wasser venusgleich die attraktive Amelia (Deva Cassel). Ginia ist fasziniert von Amelia, die den Künstlern Modell steht und mit ihnen lockere Verhältnisse pflegt. Mit dem Maler Guido macht Ginia schließlich ihre ersten, und – wie der Film in dezenten Bildern andeutet – enttäuschenden Liebeserfahrungen. Weil sie zunehmend ihre Arbeit hintanstellt, fällt sie bei der gestrengen Signora Gemma in Ungnade.
Wie in der Liebesszene erzählt der Film, der ohne einen klassischen Plot auskommt, seine Geschichte fast durchweg in Andeutungen. Damit wird vermieden, dass die vielfachen Beziehungen der Personen unnötig ausbuchstabiert werden, es trägt aber auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit bei. Seine Spannung bezieht der Film hauptsächlich vom beeindruckenden Spiel seiner Protagonistinnen. In Gesicht und Körperhaltung von Yile Yara Vianello als Ginia spiegeln sich all die Ängste und Sehnsüchte, aber auch das zunehmende Selbstbewusstsein der anfangs scheuen jungen Frau vom Land. Deva Cassel spielt mit der Figur der Amelia eine Art Gegenentwurf durch, eine Frau, die bewusst die männlichen Blicke auf sich zieht – eine Rolle, die an den großen Auftritt von Cassels Mutter Monica Bellucci in Guiseppe Tornatores »Der Zauber von Malèna« (2000) erinnert.
Das starke Frauenensemble, einschließlich Anna Bellato als Singnoria Gemma, hätte einen Film mit mehr Tiefenschärfe verdient gehabt. Das gilt vor allem für das historische Setting. Laura Luchetti begnügt sich auch hier mit Andeutungen: anfangs eine kurz eingeblendete Mussolini-Rede, Plakate mit dem Konterfei des »Duce«, schwarze Hemden auf der Wäscheleine. Zur Frage nach der Rolle der Frau in einer vom Männlichkeitskult geprägten Gesellschaft, die sich gerade in dem von Luchetti gewählten Sujet angeboten hätte, tragen diese Bilder wenig bei.
Vergleiche mit dem etwa zeitgleich entstandenen Film »Morgen ist auch noch ein Tag« von Paola Cortellesi drängen sich auf. Im Stil des Neorealismus erzählt der Film vom Widerstand einer Frau gegen eine gewalttätig-patriarchalische Gesellschaft der frühen Nachkriegszeit. Anders als Cortellesi gelingt es Laura Luchettis – nur wenige Jahre, aber doch eine politische Epoche zuvor angesiedelter – Coming-of-Age-Geschichte nicht, an aktuelle Debatten anzuknüpfen.
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