Berlinale: Spätes Glück
Am Samstag werden die Preise der 74. Berlinale verliehen. Die Ära unter der Doppelleitung Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian geht zu Ende
Schön im eigentlichen Sinn war es auf der Berlinale nie. Dafür sorgt allein schon das deutsche Februarwetter. Der Wunsch nach einer Verlegung in den Sommer ist deshalb fast genau ein solcher Berlinale-Standard wie die Rede vom »politischsten« der großen Filmfestivals. Am besten war das Berlinale-Feeling immer dann, wenn trotz alledem die Menschen zum Potsdamer Platz strömten.
Die Ticket-Bilanz der diesjährigen 74. Berlinale fällt zwar positiv aus – zur Mitte des Festivals wurde die Vorstellungsauslastung mit durchschnittlich 90 Prozent angegeben. Aber mit der Bärenvergabe am Samstag geht gleichzeitig ein Jahrgang zu Ende, auf dem sich zu selten so etwas wie Festival-Gefühl entfaltete.
Es gab schöne Momente: Martin Scorsese, der bei der Annahme des Ehrenbären in Aussicht stellte, in ein paar Jahren mit seinem nächsten Film wiederzukommen. Oder dass mit Cillian Murphy und Wim Wenders zwei Oscar-Favoriten die Eröffnung besuchten. Und ein Wettbewerbsprogramm, das die Filme des »Globalen Südens« einmal nicht als Nebensache behandelte.
Aber insgesamt fehlte es dieser Berlinale an Höhepunkten, an Ausreißer- und Aufreger-Momenten, im Positiven wie im Negativen. Denn wo im Vorfeld die Angst vor Störungen durch politische Proteste sehr groß war, zeichnet sich ein auf seine Weise unerfreuliches Bild: Zieht die Berlinale womöglich so wenig Aufmerksamkeit auf sich, dass sie für Protestaktionen nicht mehr lohnend erscheint?
Das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, das sich nun verabschiedet, schaut auf fünf Jahre Umbruch und schwierige Zeiten zurück. Ihre Nachfolgerin Tricia Tuttle wird es ebenfalls nicht leicht haben. Die strukturellen Probleme, was Festivalkinos und Organisation angeht, bleiben bestehen. Bei den programmatischen wünscht man ihr eine glücklichere Hand: Weniger Arthouse-Einerlei und mehr Mut zur Durchmischung von Kunst und gelegentlichem Kommerz.
An letzterem nämlich fehlte es einmal mehr in diesem Jahr: Es gab gediegenes französisches Arthouse-Kino wie Olivier Assayas' Lockdown-Reflektion »Hors du temps«, spannendes Essay-Kino wie Mati Diops »Dahomey« über die Rückführung von Kunstwerken nach Benin, und Victor Kossakovskys seltsam fesselnde Dokumentation über Steine, »Architecton«.
Es gab ein großartiges Epos über ein Frauenschicksal zwischen mehreren Männern aus dem nepalesischen Himalaja, »Shambala«, oder ein nicht minder faszinierendes Frauenporträt zwischen Elfenbeinküste und China in Abderrahmane Sissaks »Black Tea«.
Die zwei deutschen Regisseure, Andreas Dresen mit »In Liebe, eure Hilde« und Matthias Glasner mit »Sterben«, schickten würdige Kandidaten ins Rennen um den Goldenen Bären. Dresen, in dem er mit seinem Hilde Coppi-Porträt der an echten Helden doch eher armen Geschichte des deutschen Widerstands gegen den Faschismus eine sensible, zarte Seite hinzufügte. Und Matthias Glasner, der in seinem Familiendrama ein äußerst gegenwärtiges und komplexes Bild von Beziehungen und Bindungen zeichnete. Aussichten auf einen Preis kann sich vor allem Glasner machen, dessen Film mit seinem zwischen Humor und Tragik gekonnt schwankenden Ton beim internationalen Publikum überraschen gut ankam.
Der wahre Liebling dieses Jahrgangs aber kam einmal mehr aus dem Iran. Der Beitrag »My Favourite Cake« hatte schon im Vorfeld Schlagzeilen produziert, weil die beiden Regisseure des Films, Maryam Moqadam und Behtash Sanaeeha, keine Ausreisegenehmigung erhielten.
In ihrem Film erzählen sie eine Geschichte, die dem Mullah-Regime nicht passen kann: Eine 70-jährige Witwe will darin ihre Einsamkeit nicht länger hinnehmen und beschließt, offensiv um einen Mann zu werben. Neben einem Goldenen Bären für den Film als solchen gelten auch Silberne Bären für die beiden Hauptdarsteller als sehr wahrscheinlich.
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