Berlinale: Gibt es nicht genug Filme über Nazis und Auschwitz?
»In Liebe, Eure Hilde« (2024). © Frederic Batier / Pandora Film
Andreas Dresen zeigt im Berlinale-Wettbewerb »In Liebe, Eure Hilde« über die Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«. Julia von Heinz erzählt in »Treasure« mit internationaler Starbesetzung von einer historischen Spurensuche in Polen
Oda Schottmüller… Liane Berkowitz... Sie werden aufgerufen wie beim Zahnarzt, sachlich, geschäftsmäßig. Die Frauen stehen an einem trüben Morgen im August 1943 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee zu ihrer Hinrichtung an – per Guillotine, das geht fix. Eine bricht zusammen, die meisten wirken erstarrt, erschöpft. So auch Hilde Coppi (Liv Lisa Fries). Gerade hat sie einem mitfühlenden Pastor einen letzten Brief diktiert, an ihre Mutter und ihren Sohn: »In Liebe, Eure Hilde«. So heißt der Film von Andreas Dresen, der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale. Hilde Coppi, geborene Rake, und ihr Mann Hans waren 1942 wegen Vaterlandsverrats, Spionage und Feindbegünstigung verhaftet worden. Sie waren Mitglieder der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«, verstanden sich als Kommunisten, hatten »Radio Moskau« abgehört und Angehörige deutscher Kriegsgefangener informiert, dass die Männer am Leben waren. Im Gefängnis brachte Hilde Coppi ein Kind zur Welt, unter elenden Umständen, im Bewusstsein, dass sie es nicht würde behalten können.
Andreas Dresen, ein Stammgast des Festivals, scheint auf das Zeitgeschehen zu reagieren und ist »politischer« geworden – zuletzt lief im Berlinale-Wettbewerb sein Film »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« über die rechtswidrige Inhaftierung von Murat Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantanamo. Nun haben der Regisseur und seine Autorin Laila Stieler sich eines Widerstandskapitels angenommen, das im Vergleich mit dem Stauffenberg-Attentat oder der Geschichte der »Weißen Rose« eher unpopulär ist – es gab in den siebziger Jahren je ein aufwändiges BRD- und DDR-Projekt zur »Roten Kapelle«, erst im letzten Jahr hat eine Fernseh-Dokufiction das Thema wieder aufgegriffen. Vielleicht, weil die politische Tendenz der Gruppe, die Orientierung auf Moskau, unbequem ist?
Dresens Film hat damit kein Problem, fokussiert sich aber auch nicht darauf. Vielmehr stellt er die allgemeinere Frage, wie man sich unter unmenschlichen Umständen seine Menschlichkeit bewahren kann. Heroismus ist nicht die Antwort. Eher schon: Liebe zum Leben. Die Rahmenhandlung, die von der Tortur der Schwangeren im Frauengefängnis erzählt, löst sich immer wieder in Rückblenden auf, die Hippie-Vibes verströmen: die Coppis beim Campen, Feiern, Sex, selbst das Morse-Training und die Herstellung von Aufklärungsmaterial haben etwas Abenteuerliches. Hilde Coppis Geschichte hätte leicht ins Formelhafte abdriften können, zumal die oft mattfarbenen Bilder von Anfang an ins Historische weisen. Aber Andreas Dresen hat seine Spielart des »humanistischen Realismus« zur Perfektion getrieben; je weiter der Film fortschreitet, je heftiger die Knastgewalt – ja, es ist nötig, die Geburt zu zeigen - und die sommerlich-entspannten Szenen sich aneinander reiben, desto einleuchtender wirkt die Konstruktion. Die Nazis führten auch einen Kampf gegen die Freiheit des Körpers – besonders den der Frau.
Dass es nicht genug Filme über das deutsche Menschheitsverbrechen und gegen faschistische Tendenzen geben kann, weiß auch Julia von Heinz, die zweite prominente Deutsche im Berlinale-Line-up. Nach dem Antifa-Film »Und morgen die ganze Welt« wendet sie sich in der außer Konkurrenz laufenden Produktion »Treasure« dem Gedenken an die Schoah zu. Erzählt wird (nach einer Vorlage der Schriftstellerin Lily Brett) von einer New Yorker Musikjournalistin, die mit ihrem Vater, einem Auschwitz-Überlebenden, Anfang der Neunziger auf Spurensuche nach Polen reist. Während die nachgeborene Tochter mit einem Koffer voller Literatur ausgestattet nach Plan verfährt – vom Getto über Lodz zur Gedenkstätte –, interessiert sich der Vater vor allem für die Annehmlichkeiten der Gegenwart. Tatsächlich ist seine schluffige Abwehrhaltung das Symptom des Traumas. Der Film entfaltet sich als umsichtige Mischung aus Familienkomödie und melancholischer Aufarbeitung; interessant ist, dass er die Frage nach der Restitution jüdischen Besitzes noch einmal aufwirft. Getragen wird »Treasure« aber vor allem von der Chemie zwischen den Stars: der mit der Serie »Girls« bekannt gewordenen Lena Dunham und dem Briten Stephen Fry.
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