Berlinale: Es sieht nach Arbeit aus
»Small Little Things« (2024). © Shane O'Connor
Am Donnerstag wird die Berlinale mit dem »Oppenheimer«-Star und Oscar-Kandidaten Cillian Murphy eröffnet. Die AfD muss draußen bleiben
Wenn Cillian Murphy und sein Regisseur Tim Mielants (»Peaky Blinders«) am Abend des 15. im Berlinale-Palast ihren Film »Small Things Like These« vorstellen, dürfte die Stimmung angespannt sein. Der Weg zu dieser 74. Berlinale war steinig.
Und anders als in den Pandemie-Jahren sind die meisten Probleme des Festivals hausgemacht. Da war das unwürdige Gerangel um die Position des Künstlerischen Leiters Carlo Chatrian, dessen letzte Berlinale dies sein wird – seine Nachfolgerin Tricia Tuttle übernimmt im April. Da sind die Finanzprobleme, die zu einer drastischen Reduktion des Programms geführt haben: die Gesamtzahl der Filme um fast ein Drittel auf rund 200 reduziert, die Sektionen »Perspektive Deutsches Kino« und »Berlinale Series« aufgelöst, Hommage und Retro mit gebremstem Auftritt.
Schließlich hat die noch amtierende Leitung im Vorfeld den »Markenkern« der Berlinale beschädigt: den Ruf, ein politisch besonders engagiertes und umsichtiges Festival zu sein. In der heftigen Kontroverse um die Frage, ob das Festival die im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, also auch die auf deutschnationalen Kulturkampf gepolte AfD, zur Eröffnungsgala zulassen muss, hat man sich erst in letzter Minute zu einer Entscheidung durchgerungen: die AfD wurde ausgeladen. Ein thematisch gerade akuter Film – RP Kahls Adaption der »Ermittlung« von Peter Weiss, des Dokudramaklassikers um den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess – war abgelehnt worden; drei zurückgezogene Filme in Nebensektionen haben das israelisch-palästinensische Konfliktfeld aufgerissen. Und so manche Interview-Aussage, etwa der Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek, klang flau: man wolle nicht »polarisieren«.
Dabei hätte man das auch positiv fassen können. Die 20 Filme des Wettbewerbs wirken im besten Sinne verbindend. Sie zeigen, dass Kino nicht mehr von der Zentrale »Hollywood« her gedacht werden sollte, sondern transnational funktioniert: Viele der Regisseur*innen sind Wanderer zwischen den Welten, viele Filme erzählen von kulturellen Crossover-Phänomenen. Abderrahmane Sissako, seit »Bamako« als Meister des aktuellen afrikanischen Kinos etabliert, schickt in »Black Tea« eine Frau aus der Elfenbeinküste nach China, wo sie sich in den Betreiber einer Teeküche verliebt. Die französische Regisseurin Mati Diop, Tochter des senegalesischen Musikers Wasis Diop und 2019 Gewinnerin des Großen Preises der Jury in Cannes, beschäftigt sich in ihrem Dokumentarfilm »Dahomey« mit dem Erbe des Kolonialismus. Nelson Carlos De Los Santos Arias nimmt in »Pepe« die Perspektive eines toten Nilpferds aus Kolumbien ein; für ihr Spielfilmdebüt »Mé el Aïn« ist die Kanadierin Meryam Joobeur in ihr Herkunftsland Tunesien zurückgekehrt; der Mexikaner Alonso Ruizpalacios bewirtet eine multikulturelle Gesellschaft in einem New Yorker Restaurant (»La Cocina«).
Deutschland ist im Vergleich zum Vorjahr – fünf Filme – sparsamer repräsentiert. »Sterben« ist ein Familiendrama von Matthias Glasner (2006 mit »Der freie Wille« und 2012 mit »Gnade« im Wettbewerb), prominent besetzt mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger. Andreas Dresen wird bereits zum fünften Mal auf dem roten Teppich erscheinen: »In Liebe, Eure Hilde« kreist um den Widerstand der »Roten Kapelle« gegen die Nazis; die Titelrolle spielt Liv Lisa Fries (»Babylon Berlin«).
Das heißt nicht, dass die deutsche Kreativszene schwächelt: Neue Filme von Julia von Heinz, Nora Fingscheidt und Thomas Arslan laufen in den Sektionen Special und Panorama. Hier werden sich auch die meisten Stars tummeln: Lena Dunham, Stephen Fry, Kirsten Stewart, Adam Sandler, Carey Mulligan. Der Ehrenbär geht an Martin Scorsese, der dem Festival außer Konkurrenz eine Doku über das magische Filmemacher-Duo Michael Powell und Emeric Pressburger zuliefert.
Carlo Chatrian, der auch unter Sparzwang nicht auf die explizite Kunst- und Experimental-Sparte Encounters verzichten mochte, hat in seinem letzten Jahr den großen Gemischtwarenladen Berlinale, so scheint es, zu einem Arthouse-Festival umgebaut. Das wird Arbeit, könnte sich aber lohnen.
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