Berlinale: An ihr arbeiten sich die Männer ab
Man erinnert sich, wie sie durch Oslo lief und rannte. Wie sie sich auf eine Hochzeit von Unbekannten einschleuste, beim Flirten auf dem Klo pupste und bei ihrem späten Erwachsen werden nach sich selbst suchte. Renate Reinsve spielte in Joachim Triers tollem Film »Der schlimmste Mensch der Welt« erinnerungswürdig eine Frau im Selbstfindungshamsterrad voller Charme und Macken: eine Rolle, in der sich die Befindlichkeiten einer ganzen Generationen spiegelten.
Dass die norwegische Schauspielerin durchstartet, war nach Triers Film zu erwarten (und zu wünschen). Auf der Berlinale ist sie in größeren Nebenrollen in gleich zwei Filmen im Wettbewerb zu sehen, zwei sehr unterschiedlichen Filmen: in Aaron Schimbergs grotesker Komödie »A Different Man« und in Piero Messinas Science-Fiction-Drama »Another End«.
In ersterem ist sie Ingrid, die Nachbarin von Edward (Sebastian Stan), einem New Yorker Schauspieler mit einem von Tumoren entstellten Gesicht. In der mit Bodyhorror-Momenten inszenierten Komödie verbindet die beiden die Leidenschaft zum Theater, denn Ingrid schreibt an einem Stück.
Aaron Schimberg erzählt klug und stilsicher von der Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Nach einem Eingriff verwandelt sich Edward in einen attraktiven, erfolgreichen und selbstverliebten All-American-Boy. Seine alte Existent begräbt er buchstäblich, indem er seinen Tod vortäuscht. Edward kommt Ingrid mit seiner neue Identität wieder näher, als sie ihn für ihr Theaterstück über sein Altes Leben castet. Doch dann taucht jemand mit Edwards Krankheit auf, der viel besser auf die Rolle passt und mit sich selbst im Reinen ist.
In dem düster-humoristischen Film durchdringen sie das Theaterstück und Ereignisse immer stärker. Etwas zu deutlich auf seiner Botschaft herumreitend, überzeugt »A Different Man«, auch dank des Trios Sebastian Stan, Renate Reinsve und Adam Pearson. Reinsve ist am Ende eine LSD und Sex Liebende, die sich mit ihrem neuen Lebensgefährten für eine Sekte entscheidet.
Wie in Schimbergs Film gibt es auch in »Another End« kein richtiges Leben im falschen. Hier taucht Reinsve erst später auf, als Wiedergängerin von Sals (García Bernal) Frau auf. Sal lässt, um den Tod zu verarbeiten, das Bewusstsein seiner Frau in den Körper der von der Norwegerin gespielten Figur, dem sogenannten Host, laden. Reinsve spielt in dem Drama eine Doppelrolle, denn später, als sich Sal auf die Suche nach ihrer tatsächlichen Identität begibt, gibt sie eine nihilistisch veranlagte Prostituierte, die in einem neon beleuchteten Club ihre Dienste anbietet.
Leider macht Piero Messinas in seinem bildgewaltig beginnenden Film aus der komplexen Prämisse ein arg konventionelles Drama. »Another End« fühlt sich an wie ein weichgespültes Science-Fiction-Mashup aus Yorgos Langhimos' »Alpen« und Hitchcocks »Vertigo«. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn Science-Fiction den Erklärbär auspackt, um seine Technologien und deren Konsequenzen kleinteilig zu erörtern.
An der norwegischen Schauspielerin jedenfalls liegt es nicht. Sie überzeugt in beiden Filmen als Frau, an denen sich Männer abarbeiten. Man kann nur hoffen, dass sie demnächst auch wieder in einer Hauptrolle zu sehen sein wird.
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