Kritik zu Die Kairo Verschwörung

© X-Verleih

2022
Original-Titel: 
Walad Min Al Janna
Filmstart in Deutschland: 
06.04.2023
L: 
125 Min
FSK: 
12

In der al-Azhar-Universität, der Wiege sunnitischer Macht, entbrennt ein Machtkampf, der zu einer Frage der nationalen Sicherheit Ägyptens wird. Tarik Salehs neuer Film ist so intrigenreich wie ein Spionageroman von John le Carré

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Neben großen Hoffnungen und banger Neugier hat Adam (Tawfeek Barhom) noch eine Mahnung seines Vaters im Gepäck, als er aus der Provinz in die große Stadt kommt: »Vergiss nie, wo du herkommst.« Der Fischersohn hat die Chance seines Lebens erhalten, ein Stipendium, das ihm das Studium an der al-Azhar ermöglicht, dem Leuchtturm der islamischen Wissenschaft. In Kairo wird er mit einer anderen Maxime konfrontiert: »Wer du bist, spielt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, wer du sein willst!«

Der arglose Student steht zu Beginn zwischen den Identitäten. Er ist ein Blatt, das beschrieben werden will. Aus ihm könnte ein Musterschüler werden, er ist mit Talent gesegnet und einem reinen Herzen, das an der Universität ausgebildet werden soll. Es erwarten ihn freilich Prüfungen, die nicht auf dem Lehrplan stehen. Der Scheich al-Azhar, der bisher die Geschicke der Institution leitete, ist gestorben und ein erbitterter Kampf um die Nachfolge des Groß-Imams entbrennt. Die Schmiede sunnitischer Macht weckt höchst säkulare Begehrlichkeiten. »Boy from Heaven«, der internationale Titel von Tarik Salehs Thriller, ist zweifellos sarkastisch gemeint.

Der Geheimdienst, der hier tatsächlich Staatssicherheit heißt, muss einen dem Regime gefälligen Kandidaten durchsetzen. Als vor Adams Augen ein Kommilitone ermordet wird, nimmt der Offizier Ibrahim (Fares Fares) die Ermittlungen auf. Er rekrutiert den naiven, folgsamen Studienanfänger, mit dem er leichtes Spiel zu haben scheint. Dieser soll einen Kreis von Verdächtigen infiltrieren, die der Muslimbruderschaft angehören. Zudem gilt es, einen fundamentalistischen Kandidaten als Heuchler zu entlarven. Schließlich wird der gelehrige Schüler auf den blinden Scheich Durani angesetzt, dessen liberale Ansichten den Behörden ein Dorn im Auge sind.

Nicht nur mit seinem deutschen Titel knüpft Tarik Salehs Film an »Die Nile ­Hilton Affäre« an. Wiederum nutzt der Regisseur die Form des Thrillers, um den Puls des Landes zu nehmen. Fares Fares variiert seine Rolle des undurchsichtigen Ermittlers, der sich ein Restgewissen bewahrt hat. Im Vorgängerfilm war die allgegenwärtige Korruption der Leim, der die Gesellschaft zusammenhielt; hier ist es die Religion. »Die Kairo Verschwörung« entdeckt dem Publikum eine ungekannte Welt, die ihre eigenen faszinierenden Regeln und Rituale besitzt. Die Universität ist schillerndes Zentrum der Handlung und zugleich ein majestätischer Schauwert. Als Drehort der weiträumigen, einschüchternden Interieurs diente die Süleymaniye-Moschee in Istanbul, denn der Regisseur ist seit 2015 Persona non grata in Ägypten, dem Heimatland seines Vaters. Die türkische Metropole filmt er als ein bestrickendes Double Kairos; das sorgfältige, wuchtige Tondesign unterstreicht die urbane Reizfülle, die Adam als Neuankömmling überwältigt und ihm weiterhin fremd bleibt.

Saleh dient das Genrekino nicht als bloßer Vorwand, um ein Bild der brodelnden politischen Verhältnisse zu zeichnen. »Die Kairo Verschwörung« verrät seine aufrichtige, innige Begeisterung für dessen Traditionen. Saleh nimmt kühn Maß an John le Carrés Spionageromanen. Seine Intrige ist beinahe ebenso raffiniert konstruiert: ein schäbiges Figurenschach der Binnenkämpfe und Rivalitäten im Geheimdienst, das den Tod Unschuldiger als Kollateralschaden verbucht. Ibrahims Vorgesetzter ist ein Soziopath, in dessen Augen eine bedrohliche Zuversicht glüht. Ibrahim selbst ist ein listenreicher Gegenspieler, der sich nicht aus der Verantwortung für seinen Schützling stehlen mag.

Saleh schickt Adam auf einen Parcours der Anfechtungen. Bei dem Teufelspakt, auf den er sich einließ, büßt er alle Gewissheiten ein. Seiner Existenz ist der Boden entrissen, das Stipendium könnte ein Köder der Staatssicherheit gewesen sein, die alles über ihn und seine Familie zu wissen scheint und jeden seiner Schritte lenkt. Er spielt das böse Spiel mit, um zu überleben. Das Versprechen, sich in der großen Stadt neu erfinden zu können, erfüllt sich nicht. Als Adam dem Dorf-Imam wiederbegegnet, der bei seiner Abreise so große Hoffnungen in ihn setzte, fragt dieser ihn: »Und was hast du alles gelernt?« Aber der junge Mann bleibt ihm die Antwort schuldig.

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