Interview: Tarik Saleh über »Die Kairo Verschwörung«
Tarik Saleh © Atmo - X Verleih AG
Bei der Weltpremiere in Cannes haben Sie gesagt, Sie hätten eine große Abneigung gegen das Regieführen. Warum tun Sie es trotzdem?
Tarik Saleh: Die einfache, etwas unangenehme Antwort: Ich bin zweifacher Vater und muss Essen auf den Tisch bringen. Und als Regisseur werde ich sehr gut bezahlt, sehr viel besser denn als Drehbuchautor. Dabei liegt mir das Schreiben viel mehr als das Inszenieren. Ich liebe es, mir Geschichten auszudenken. Ursprünglich komme ich aus der Malerei, meine Anfänge waren in der Graffitiszene in Stockholm. Und bei beidem, Schreiben und Malen, ist man für sich. Man muss keine Kompromisse eingehen, muss nicht jede verdammte Entscheidung diskutieren. Aber ich liebe auch das Kino. Ich bin ein Filmfanatiker. Vielleicht, weil ich in einem Filmstudio aufgewachsen bin. Mein Vater war ein Stop-Motion-Animationskünstler, er arbeitete an unzähligen Trickfilmen. Ich wuselte da oft rum, kannte jeden aus der Crew.
Dann kennen Sie ja das Arbeiten im Team von Klein auf…
Das Problem ist, dass ich als Regisseur wie eine Art General agieren und herumkommandieren muss. Es ist ein brutales Pflaster mit zahlreichen Opfern. An jedem Set, bei jeder amerikanischen Serie, an der ich arbeite, wurde irgendwann jemand vom Sanitäter abgeholt. Und zehn Minuten später sagte dann der Produzent: Alles ok, weiter. Als Regisseur fühlte ich mich verantwortlich, setzte aber meine Crew immer wieder gefährlichen Situationen aus. Dabei bin ich privat ein totaler Softie, erhebe nie meine Stimme. Am Set muss ich jemand sein, der ich nicht sein will. Und das über Wochen, oft Monate.
Warum also tun Sie es?
Weil ich kaum jemandem traue, ein solche, von mir geschriebene Geschichte adäquat zu inszenieren. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als es selbst zu tun. Und weil ich es kann. Ich lebe in Europa, habe einen schwedischen Pass, ich halte es für meine Pflicht, diese Geschichte zu erzählen. Ich kenne so viele Ägypter und Saudis, die öffentlich gegen das Regime sprechen, dafür verhaftet und gefoltert werden, und nach der Freilassung wieder aufstehen und weiter die Wahrheit sagen. Das sind Helden. Aber niemand hätte diesen Film in Ägypten machen können. Ich habe ihn in Istanbul gedreht, mein Risiko war relativ gering.
Sie sind 1972 in Stockholm geboren, ihre Eltern aus Ägypten ausgewandert. Ist diese Distanz Fluch oder Segen?
Als Künstler muss ich emotional wahrhaftig sein. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht, aber wenn ich spezifisch und ehrlich bin und nicht spekulativ, habe ich die Chance, damit Menschen anzusprechen und etwas zu erreichen. Der Islam ist jeden Tag in den Nachrichten, überall. Es ist geradezu eine Obsession. Das Monster unter deinem Bett, nimm dich in Acht! Aber welcher Nichtmuslim kennt den Scheich der Azhar, Oberhaupt des sunnitischen Islams? Umgekehrt wissen Muslime sehr wohl, wer der Papst, der Vatikan und auch die EU sind. Wer also ist uninformiert und ignorant? Wir sollten nie aufhören zu lernen, unseren Horizont zu erweitern.
Ihr Film ist aber keine Dokumentation, sondern ein Thriller…
»It’s just a movie“» wie Hitchcock sagte. Stimmt, er soll möglichst gut unterhalten und spannend sein. Aber ich sehe es auch als meine Verantwortung, meinen kleinen Teil zu Aufklärung und kultureller Weiterbildung beizutragen. Und es nicht den Taliban zu überlassen, der Welt ihre Interpretation des Islam aufzudrücken, indem sie ein Mädchen, das zur Schule gehen will, per Kopfschuss hinrichten. Wenn wir uns informieren und versuchen einander zu verstehen, werden wir sehen, dass die Menschen gar nicht so verschieden sind. Wir alle hadern mit dem, was wir glauben und was wir tun. Wir streben nach dem Guten und scheitern allzu oft.
Ihr Film bietet einen Blick in eine Welt, die Nichtmuslimen oft verschlossen bleibt. Wie authentisch ist diese Perspektive?
Ich selbst bin als Muslim alles andere als streng. Ich faste nicht oft, kenne nur fünf Verse zum Beten, meine Großeltern konnten den Koran auswendig. Hin und wieder trinke ich Alkohol. Für den Film hatte ich einen fantastischen Imam, dem ich das Drehbuch zu lesen gab und all die verbotenen Fragen stellen konnte. Mir war wichtig, dass die theologischen Argumente im Film korrekt sind. Das war eine Herausforderung, denn Film ist ein dummes Medium, das geschriebene Wort ist überlegen. Wenn man im Film innehält und nachdenkt, verpasst man den nächsten Moment. Komplexe Ideen sind so kaum darzulegen. Kino ist im Kern antiintellektuell. Ich liebe es trotzdem.
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