Interview: Scott Derrickson über »The Black Phone«
Scott Derrickson am Set von »The Black Phone« (2021). © Universal Studios
Mr. Derrickson, die Vorlage für »The Black Phone« ist eine Kurzgeschichte von Joe Hill, einem der Söhne von Stephen King. Was waren Ihre Überlegungen für deren Erweiterung?
In der Vorlage war es nur der Geist eines Jungen, der Kontakt mit Finney aufnimmt, bei uns alle fünf, zum anderen haben wir sein Familienleben erweitert, seinen Vater und vor allem seine jüngere Schwester – Gwen wurde so etwas wie die Seele des Films. Das kam aus meinem Wunsch, aus meiner eigenen Kindheit zu schöpfen. Bevor ich mich entschloss, diesen Film zu machen, plante ich einen Film über meine eigene Kindheit, so etwas wie die amerikanische Antwort auf Truffauts »Sie küssten und sie schlugen ihn«. Ich wuchs in Denver, Colorado auf, 1978 war ich zwölf Jahre alt. Mein Familienleben und das Leben in meiner Nachbarschaft war dem, was Sie hier auf der Leinwand sehen, ziemlich ähnlich – Arbeiterklasse, ziemlich gewalttätig; ebenso gab es eine große Angst vor Serienmördern, die Manson-Morde waren nicht lange davor passiert, Ted Bundy trieb sein Unwesen, »Halloween« war in die Kinos gekommen. Als ich neun Jahre alt war, klingelte eines Abends der Nachbarsohn an unserer Tür und sagte, »Jemand hat meine Mutter ermordet!« Sie war entführt, vergewaltigt und ermordet wurden, ihre Leiche wurde aus einem See geborgen. Für einen jungen Menschen war die Angst vor Serienmördern damals durchaus real. Darüber wollte ich eine Geschichte erzählen, dann kam mir die Idee, das mit der Kurzgeschichte von Joe Hill zusammenzubringen, die mich sehr beeindruckt hatte, weil sie verschiedene Genres zusammenführte.
Das klingt nicht nach einer Kindheit, die man im Nachhinein nostalgisch verklärt...
Das vorherrschende Gefühl, das ich mit meiner eigenen Kindheit assoziiere, ist Angst. Ich lebte in einem Wohnblock, wo es dreizehn andere Jungs gab – und ich war der jüngste von ihnen. Ich wurde regelmäßig verprügelt. Ich war ein neurotisches Kind mit Träumen davon, ein Künstler zu werden. Während ich den zweiten »Doctor Strange«-Film vorbereitete, befand ich mich in Therapie, wo vieles davon aufgearbeitet wurde. Das war für mich ein sehr befreiender Prozess, ich wollte das in einem Film verarbeiten. Eben in der Tradition von Truffaus »Sie küssten und sie schlugen ihn«. Aber da meine Kindheit nicht so interessant war, sah ich eine Möglichkeit darin, sie mit der Kurzgeschichte von Joe Hill zu kombinieren. Dieser Film ist wirklich persönlich. Ich bin der Überzeugung, je mehr Persönliches ein Geschichtenerzähler in einen Film einfließen lassen kann, desto mehr spricht er ein Publikum an. Ich wollte auf keinen Fall einen Film mit einer nostalgischen Sicht auf diese Epoche.
Hat dieses persönliche Element den Ausschlag gegeben, zehn Jahre nach »Sinister« wieder einen Film für Blumhouse zu machen, also einen 'kleinen' Film – im Gegensatz zu der Großproduktion »Doctor Strange« für Marvel?
Als ich »Sinister« machte, befand ich mich in einer Situation, die nicht unähnlich jener war, in der sich Ethan Hawke in jenem Film befindet: ich hatte mit »Der Exorzismus von Emily Rose« einen Überraschungserfolg gelandet, nach dem jeder mit mir arbeiten wollte, und dann einen Eventfilm gedreht, »The Day the Earth Stood Still«, der ein großer Studio-Flop war, was dazu führte, dass ich befürchtete, ich könne meine Miete nicht mehr bezahlen. »Sinister« war ein Film über Ambitionen, die Figur von Ethan Hawke fürchtete mehr um seinen Status als Schriftsteller als dass er Angst hatte vor den paranormalen Vorgängen in seinem Haus. Als ich »The Black Phone« drehte, befand ich mich an einem sehr anderen Punkt in meinem Leben, ich hatte einige Jahre Therapie hinter mir, ich fühlte mich glücklich – ich würde sogar sagen, dies ist der hoffnungsvollste Film, den ich je gemacht habe. Eben weil so viel Persönliches eingeflossen ist. Ich glaube nicht, dass Filmemacher so arbeiten müssen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Filme am besten sind, wenn ich so arbeite.
War es schwierig, Ethan Hawke zu überzeugen, einen durch und durch bösen Charakter zu verkörpern? Der »Grabber« hier ist ja noch einmal etwas anderes als die Figur, die er in Ihrer vorangegangenen Zusammenarbeit »Sinister« verkörperte. Und er hat ja auch verschiedentlich erklärt, dass ihn Schurkenrollen nicht sonderlich interessieren.
Große Schurkenrollen in Horrorfilmen und Thrillern – wie Jack Nicholson in »The Shining« oder Anthony Hopkins in »Das Schweigen der Lämmer« – zeichnen sich dadurch aus, dass sie etwas Einzigartiges haben. »Das Schweigen der Lämmer« hat ein tolles Drehbuch, aber die Art, wie Anthony Hopkins spricht, ist ganz sein Verdienst. Das hat hier auch Ethan gereizt, denn sein Gesicht ist die ganze Zeit hinter einer Maske verborgen. Er sah darin nicht nur eine Herausforderung, sondern auch die Möglichkeit, dass die Maske das Böse verkörpert, was es ihm erlaubte, diese Figur auf eine ganz eigene Weise darzustellen.
Sie haben einige sehr junge Darsteller in sehr intensiven Szenen in ihrem Film. Wie arbeiten Sie mit denen?
Das beginnt mit dem Castingprozess – Kinder zu finden, denen das zuzumuten ist. Eine wichtige Rolle spielen dabei deren Eltern: sicher zu gehen, dass es Kinder sind, die aus stabilen Familienverhältnissen kommen. Wenn es dann zum Dreh der entsprechenden Szenen kommt, spreche ich davor lange mit den Kindern darüber, so dass sie sich sicher fühlen. Ansonsten spreche ich mit ihnen wie mit erwachsenen Darstellern. Das war bei Madeleine McGraw die Szene, wo sie von ihrem Vater mit dem Gürtel geschlagen wird und bei Mason Thames jene, wo er sehr lange weinen muss. Denn am Ende läuft alles darauf hinaus, dass sich der Zuschauer um die Figuren sorgt, sich mit ihnen identifiziert. Zentral war hier die Beziehung zwischen Bruder und Schwester – wie sie sich gegenseitig unterstützen. Was Spannung schafft, sind Hoffnung und Furcht, die Hoffnung, dass Finney seinem Peiniger entkommen kann, die Furcht, dass er genauso enden wird wie die fünf Jungen, die vor ihm von dem Grabber entführt wurden.
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