Kritik zu Red Rocket

© Universal Pictures

2021
Original-Titel: 
Red Rocket
Filmstart in Deutschland: 
14.04.2022
L: 
130 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Pornos, Donuts und The Donald: Sean Bakers (»Tangerine L.A.«, »Florida Project«) neuer Film über einen mit leeren Taschen in seine texanische Heimat zurückkehrenden Pornodarsteller ist eine humorige Prekariatsmilieustudie

Bewertung: 3
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 1)

Sieben Kinofilme hat Sean Baker bisher gedreht, und es besteht kein Zweifel darüber, welche Menschen und Milieus ihn interessieren. Die Helden seiner Filme sind Kleingauner in New York (»Prince of Broadway«), Pornodarstellerinnen im San Fernando Valley (»Starlet«), Transgender-Sexarbeiterinnen in Los Angeles (»Tangerine L.A.«) und die Langzeitbewohner eines Motels in Orlando (»The Florida Project«). Seine Kunst besteht nicht zuletzt darin, Stereotypen gleichermaßen anzuerkennen und zu transzendieren. Nie sind die Zusammenhänge so simpel, wie es zunächst scheint. Wie ein urbaner Ethnograph lotet Baker die Lebensräume seiner Figuren aus, dreht an realen Schauplätzen, besetzt mit Vorliebe Laien neben weitestgehend unbekannten Schauspielprofis.

Mit »Red Rocket« knüpft er nahtlos an diesen Stil an, zumindest auf den ersten Blick. Diesmal zieht es ihn nach Texas, genauer: in die Ölindustriestadt Texas City. Hierher kommt Mikey »Saber« Davies (Simon Rex) zurück, nach offenbar langer Zeit und mit nichts als der Kleidung auf seinem Leib. Er ist Anfang 40 und hat viele Jahre als Pornodarsteller in L.A. gearbeitet. Ob er jemals so erfolgreich war, wie er fortwährend prahlt, bleibt unklar. Nun jedenfalls hat das Glück ihn verlassen.

Da Mikey zwar pleite, aber ein wortgewandter Charmeur ist, gelingt es ihm, sich nach all den Jahren bei seiner Noch-immer-Ehefrau Lexi und deren Mutter Lil einzunisten, die ebenfalls in prekären Verhältnissen leben. Allerdings verläuft seine Jobsuche ohne Erfolg, denn eine 15-jährige Lücke im Lebenslauf lässt sich nur schwer erklären. Dieser Anfang, wenn der schlitzohrige Mikey sich erst eine Bleibe verschafft und dann mit seriöser Attitüde für unterschiedlichste Jobs vorspricht, bis seine Eitelkeit überhandnimmt und er den Personalchefs seine Pornoclips empfiehlt, ist die amüsante Miniatur einer Charakterstudie – irgendwo zwischen bauernschlauem Provinz-White-Trash und smartem Großstadt-Hustler.

Notgedrungen verdingt Mikey sich schließlich als Marihuana-Dealer, mit passablem Erfolg. In einer der schönsten Szenen lädt er Lexi und Lil zur Feier des Tages in den Donut-Imbiss ein. Dort arbeitet die 17-jährige Strawberry (eine Entdeckung: die Laiendarstellerin Suzanna Son), in deren flirtender Attitüde Mikey sofort eine große Chance wittert: Er beginnt eine Affäre mit ihr, um sie in L.A. zum Pornostar aufzubauen.

»Red Rocket« spielt zur Zeit des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016, und wenngleich Donald Trump nur zwei Mal kurz zu sehen ist, sind Bakers politische Anspielungen unübersehbar. Der Film spielt nicht nur in »Trump Country«, Mikey steht auch für Trumps Umgang mit der Welt, seinen Narzissmus, seine Illoyalität und seine Moralfreiheit – aber auch für seinen eigentümlichen Charme, mit dem der die Menschen zumindest zeitweise für sich einnimmt. Mikey hinterlässt fortwährend Chaos, zieht Ärger an und stößt Menschen vor den Kopf, besitzt aber die aberwitzige Fähigkeit, jeden Fehltritt als Triumph zu verkaufen. Zu Recht wurde Simon Rex für diese Rolle mit dem Independent Spirit Award ausgezeichnet.

Baker verurteilt Mikey nicht, was einerseits Raum für spannende Ambivalenzen lässt, andererseits zu einer eigentümlichen Zwickmühle führt: Der Film wirft einen humanistischen Blick auf einen Mann, der das Gegenteil eines Humanisten ist. Das unterscheidet ihn von Bakers bisherigen Protagonisten, die bei allen Unzulänglichkeiten stets das Beste für ihre Liebsten versuchten. Mikeys Selbstsucht bewirkt, dass er einen irgendwann nicht mehr recht interessiert. Bis auf die wunderbar undurchschaubare Strawberry, die zwischen naiv-berechenbar und smart-berechnend changiert, gilt das auch für die anderen Figuren des Films, die zwar toll besetzt, aber zu knapp skizziert sind, als dass man einen Zugang fände. Vergnüglich ist dieser White-Trash-Reigen trotz allem. Und mit Mikey und Strawberry hat der Film durchaus ein Herz. Nur eben vielleicht nicht ganz am rechten Fleck.

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