Kritik zu Der Anständige

© Salzgeber

Ohne Kommentar, nur aus dem Zusammenschnitt von Archivbildern und ausgesuchten Stellen aus Briefen und Tagebüchern versucht die israelische Regisseurin Vanessa Lapa, das Phänomen Heinrich Himmler begreiflich zu machen

Bewertung: 3
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3.3 (Stimmen: 3)

Es ist erstaunlich, wie gut man jemanden kennenlernen kann, wenn man seine Tagebücher liest. Das scheint zumindest die Annahme zu sein, nach der die israelische Regisseurin Vanessa Lapa ihren provokativ Der Anständige genannten Dokumentarfilm konzipiert hat, in dem es um den nach Hitler wohl zweitwichtigsten Mann des Dritten Reiches geht: Heinrich Himmler. Die entsprechenden Dokumente sind erst vor wenigen Jahren wieder aufgetaucht, nachdem sie die amerikanischen Soldaten, die Himmlers Villa am Tegernsee besetzten, entgegen den Vorschriften einfach hatten mitgehen lassen. Man versteht den Reiz, der von diesem Material ausgeht: Dort muss es doch irgendwo stehen, sei es auch in Sütterlin: wie ein gutbürgerlicher, 1900 geborener Bayer so total der Ideologie der NSDAP verfallen konnte. Wie ein so schmächtiges, nicht eben hochgebildetes Bürschchen es bis zum zweiten Mann in einem Terrorstaat bringen konnte. Oder wenigstens das: wie ein liebender »Pappi« gleichzeitig für so viel Gewalt und Mord verantwortlich sein kann.

Lapa lässt in ihrem Film prominente Stimmen – in den »Hauptrollen« Tobias Moretti als Himmler und Sophie Rois als seine Frau Marga – ausgesuchte Stellen aus dem persönlichen Archiv vorlesen. Es beginnt mit einem Brief von Himmlers Vater, in dem er die Geburt seines Sohnes bekanntgibt, an niemand Geringeren als den Bayernprinzen Heinrich, der Taufpate wurde. Chronologisch geht es weiter, zunächst im Eilmarsch durch die Kindheit und den Ersten Weltkrieg, an dem er zu seinem eigenen Bedauern nicht teilnehmen konnte. Heinrich, so belegt das aus dem Off Vorgelesene, sorgfältig montiert zu zeitgenössischem Archivmaterial, war schon früh verbohrt oder eben auch ein typisches Kind seiner Zeit, das vom »Russenungeziefer« schwätzt und die »völkische Haltung« seiner schlagenden Verbindung lobt. Krude Vorstellungen von einer verlorenen germanischen Vergangenheit scheinen den nicht besonders entwickelten Intellekt Himmlers schon früh beherrscht zu haben. Eigentlich sieht man so einen eher in einer »Untertanen«-Karriere.

Interessant wird es, als Himmler seine Frau Marga kennenlernt, immerhin sieben Jahre älter und Pflegedienstleiterein einer Privatklinik in Berlin. Von da an kontrastiert der verliebte Ton seiner Briefe aufs heftigste mit der Geschichte, die die Archivbilder widerspiegeln: dem Aufstieg Himmlers vom einfachen NSDAP-Propagandamann zum Reichsführer der SS. Überaus zärtlich schreibt er später auch seiner Geliebten, mit der er Anfang der 40er Jahre zwei Kinder hat. Die allerliebevollsten Briefe aber bekommt die 1929 geborene Tochter Gudrun, in deren Poesiealbum er im Mai 1941 schrieb: »Man muss im Leben immer anständig und tapfer sein und gütig. Dein Pappi.« Und als Fazit des Films bleibt, dass sich Geschichte eben doch nicht hinreichend aus Tagebüchern begreifen lässt.

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