Streaming-Tipp: »Rebecca«
»Das ist kein Hitchcockfilm. Es ist eine Art Märchen . . . eine ziemlich altmodische, vorgestrige Geschichte . . . ohne jeden Humor.« Alfred Hitchcock war, wie in Truffauts berühmtem Interviewbuch zu lesen, nicht gerade gnädig im Urteil über den Film, der sein erster für ein US-Studio war und schließlich als bester Film des Jahres den Oscar erhielt. Den Preis für »Rebecca« freilich nahm nicht Hitchcock, sondern Produzent David O. Selznick entgegen und tatsächlich trägt die Verfilmung des Romans von Daphne Du Maurier weit mehr Selznicks Handschrift, zu sehr fuhrwerkte der Studioboss mit eigenen Vorstellungen dazwischen. Zum Klassiker der Filmgeschichte wurde »Rebecca« allemal. Und ganz unrecht hat der Meister des Suspense natürlich nicht, der Film ist ein romantisch-düsteres Schauermärchen, in dem eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen Hals über Kopf einen wohlhabenden Witwer heiratet und auf dessen Anwesen Manderley zieht, wo sie bald von den Schatten der Erinnerung an die Verstorbene verfolgt wird. In Erinnerung blieb dabei vor allem die unheimliche Gesellschafterin Mrs. Danvers, die der Nachfolgerin ihrer Herrin das Leben zur Hölle macht.
Nun, 80 Jahre nach Hitchcocks Adaption, gibt es eine neue Rebecca, die weniger ein Remake als eine Neuinterpretation des Stoffs ist, schon gar kein Einstellung-für-Einstellung-Experiment wie Gus van Sants 1998er »Psycho«, auch wenn sich beide Verfilmungen schon wegen ihrer Werktreue immer wieder ähneln. Aber Regisseur Ben Wheatley (»High-Rise«) und sein Autorenteam Jane Goldman (»Kick-Ass«), Joe Shrapnel und Anna Waterhouse (»Seberg«) setzen an entscheidenden Stellen eigene Akzente, auch das damals aktuelle Zeitkolorit der 1930er Jahre hat inzwischen eine nostalgische Patina, die unweigerlich an die Welt aus »Downton Abbey« und »The Crown« erinnert. Die (noch immer namenlose) junge Frau (Lily James in der Rolle, die damals Joan Fontaine berühmt machte) verbringt als bezahlte Begleiterin der schwerreichen Mrs. Van Hopper (Ann Dowd) einige Tage in Monte Carlo, wo sie sich in Maxim de Winter (Armie Hammer, mit seiner seduktiven Old-School-Eleganz etwas blass im Vergleich zu Laurence Olivier) verliebt, der ihr am Ende einen Heiratsantrag macht und sie frisch vermählt zurück nach Cornwall bringt. Dort ist sie vom weitläufigen Anwesen und seinen Angestellten, angeführt von der kühl-akkuraten Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas, komplexer, weniger ikonisch als Judith Anderson 1940) überfordert, sie fühlt sich eher als Eindringling denn als neue Hausherrin, versteht die Etikette und die Regeln nicht. Vor allem scheint sie mit ihrer schüchternen, wenig weltläufigen Art so gar nicht dem Vergleich mit ihrer Vorgängerin standzuhalten, die als Leerstelle stets präsent ist, in den Erinnerungen der Hausbewohner, in den unveränderten Räumen, wo überall noch die mit ihren Initialen versehenen Notizhefte und Taschentücher wie Platzhalter für ihre Rückkehr wirken.
Die neue Mrs. de Winter ist bei Wheatley sanft modernisiert, etwas weniger passiv, ihre Emanzipation von einer ohnmächtigen, von Eifersucht auf das unerreichbare Vorbild geplagten zu einer selbstbewusst agierenden Frau sind deutlicher. Auch Mrs. Danvers wird als Antagonistin mehr Platz eingeräumt, den Kristin Scott Thomas mit minimalen Gesten fröstelnd machend ausfüllt. Wheatleys »Rebecca« ist bisweilen etwas düsterer und seziert subtiler den Klassenunterschied.
Doch die Frage, warum es einer Neuverfilmung bedarf, abgesehen von offensichtlichen Schauwerten wie der opulenten Ausstattung und dem Dreh an realen Orten statt Studiokulissen, beantwortet der Film vor allem im letzten Drittel. Hier weicht Wheatley am deutlichsten von Hitchcock ab und nähert sich umso mehr an die Romanvorlage an. Aus Zensurgründen musste Hitchcock den Tod Rebeccas als Unfall umdeuten, der bei Du Maurier klar Mord war. Das Motiv bleibt auch in der 2020-Variante gleich, aber die Auflösung inszeniert Wheatley deutlich raffinierter und zwingender. All das mag man wenig relevant finden, doch der Reiz von Hitchcocks Version bleibt davon unbeeinträchtigt – und findet vielleicht durch die Neuauflage sogar eine neue Generation Zuschauer, 80 Jahre nach seiner Entstehung.
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